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Infobrief - Hamm - 06/2002

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs

I. Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

Fragen zur Wahrnehmung der Bankenaufsicht vor

Die Kläger hatten Einlagen bei der BVH Bank für Vermögensanlagen und Handel

AG in Düsseldorf, die keinem Einlagensicherungssystem angehörte und im Jahr

1987 vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Erlaubnis zum Betrieb

von Bankgeschäften unter der Auflage erhalten hatte, die Kunden über das

Nichtbestehen einer Sicherungseinrichtung zu informieren. Die schwierige

Vermögenssituation der Bank veranlaßte das Bundesaufsichtsamt in den Jahren

1991, 1995 und 1997 zu Sonderprüfungen. Im Anschluß an die dritte

Sonderprüfung ordnete das Bundesaufsichtsamt mit Wirkung vom 19. August 1997

ein Moratorium gemäß § 46 a des Kreditwesengesetzes (KWG) an. Im November

1997 stellte es Konkursantrag und entzog der Bank die Erlaubnis zum Betrieb

von Bankgeschäften. Das Konkursverfahren wurde am 1. Dezember 1997 eröffnet.

Die Kläger sind mit ihren Einlagen vom Vermögensverfall der BVH Bank

betroffen. Inwieweit ihnen eine Konkursquote zusteht, ist noch offen.

Im anhängigen Verfahren haben die Kläger von der beklagten Bundesrepublik

Ersatz des ihnen entstandenen Schadens mit der Begründung begehrt, sie habe

die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.

Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme nicht rechtzeitig vor dem 1. Juli

1995 in das nationale Recht umgesetzt, und das Bundesaufsichtsamt sei seiner

Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Das

Landgericht hat der Klage wegen verspäteter Umsetzung der

Einlagensicherungsrichtlinie unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines

gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs im Rahmen der nach dieser

Richtlinie vorgesehenen Haftungshöchstgrenze von 20.000 ECU entsprochen.

Demgegenüber blieb die Klage in den Vorinstanzen wegen des darüber

hinausgehenden Schadens ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben einen

Amtshaftungsanspruch der Kläger verneint, weil das Bundesaufsichtsamt – eine

Pflichtverletzung unterstellt – ihnen gegenüber keine Amtspflichten

wahrzunehmen gehabt hätte. Denn es nehme nach der Bestimmung des § 6 Abs. 4

KWG, an deren Stelle – inhaltsgleich - mit Wirkung vom 1. Mai 2002 § 4 Abs.

4 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes getreten ist, die ihm

zugewiesenen Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr.

Die Revision der Kläger vertritt die Auffassung, der Gesetzgeber sei aus

verfassungsrechtlichen Gründen nicht befugt gewesen, Amtshaftungsansprüche

von Einlagegläubigern auszuschließen, die nach der früheren Rechtsprechung

des Bundesgerichtshofs (BGHZ 74, 144; 75, 120) anerkannt gewesen seien.

Darüber hinaus stehe die Vorschrift des § 6 Abs. 4 KWG nicht in Einklang mit

verschiedenen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, mit denen – auch

zum Schutz der Sparer und Anleger - das Recht der Bankenaufsicht zunehmend

harmonisiert worden sei.

Der unter anderem für das Amtshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des

Bundesgerichtshofs hat sich im jetzigen Verfahrensstadium noch nicht mit der

Frage beschäftigt, ob § 6 Abs. 4 KWG einer verfassungsrechtlichen

Überprüfung standhält. Hierauf würde es nämlich nicht entscheidend ankommen,wenn sich bereits aus der Anwendung von EG-Richtlinien ergeben würde, daß das Bundesaufsichtsamt, soweit es im EG-rechtlich harmonisierten

Aufsichtsbereich tätig wird, Amtspflichten auch im Interesse der Sparer und

Anleger wahrzunehmen hat. Da diese Frage in der Einlagensicherungsrichtlinie

und in anderen zum Bankenaufsichtsrecht erlassenen Richtlinien nicht

ausdrücklich angesprochen ist – die Richtlinien erwähnen den Sparer- und

Anlegerschutz vorwiegend nur in ihren Begründungserwägungen -, hat der

Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen vorgelegt, die sich auf die den Sparern und Anlegern verliehene Rechtsstellung und die Wirkung dieser Richtlinien beziehen.

BGH,

Urteil vom 16.05.2002

- III ZR 48/01 -

II. Bundesgerichtshof entscheidet über Minderungspflicht

nach § 6a GOÄ bei Leistungen externer Ärzte für

Krankenhauspatienten

Nach § 6a der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) sind die nach der

Gebührenordnung berechneten Gebühren bei vollstationären, teilstationären

sowie vor- und nachstationären privatärztlichen Leistungen um 25 v.H. zu

mindern. Handelt es sich um Leistungen von Belegärzten oder niedergelassenen

anderen Ärzten, beträgt der Minderungssatz 15 v.H. Im Streitfall hatte der

Beklagte, Chefarzt eines Instituts für Pathologie an einem Krankenhaus, auf

Veranlassung von Ärzten anderer Krankenhäuser Gewebeproben der dort

stationär aufgenommenen Patienten, die mit dem jeweiligen Krankenhaus

wahlärztliche Leistungen vereinbart hatten, histologisch untersucht und

ihnen diese Leistungen ohne Minderung nach § 6a GOÄ in Rechnung gestellt.

Die Klägerin, der private Krankenversicherer dieser Patienten, erstattete

ihren Versicherungsnehmern die entsprechenden Aufwendungen. Mit der

Begründung, der Beklagte habe sein Honorar nach § 6a GOÄ um 15 v. H. mindern

müssen, weil auch die vom Krankenhaus veranlaßten Leistungen Dritter als

stationäre Leistungen im Sinne dieser Vorschrift zu betrachten seien, hat

sie den Beklagten aus übergangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer auf

Rückerstattung der aus ihrer Sicht zuviel gezahlten Beträge in Anspruch

genommen. Der Beklagte hat demgegenüber eingewendet, er sei zu einer

Minderung seines Honorars nicht verpflichtet, weil er seine Leistungen in

völliger wirtschaftlicher und technischer Unabhängigkeit von den

Krankenhäusern erbringe, in denen die Patienten aufgenommen gewesen seien.

Das Landgericht ist seiner Auffassung gefolgt, während das Oberlandesgericht

der Klage stattgegeben hat.

Der unter anderem für das Dienstvertragsrecht zuständige III. Zivilsenat des

Bundesgerichtshofs hat auf die Revision des Beklagten entschieden, daß auch

Leistungen externer Ärzte, die auf Veranlassung eines Krankenhausarztes im

Zusammenhang mit der Behandlung eines stationär aufgenommenen Patienten

erbracht werden, der Minderungspflicht des § 6a GOÄ unterliegen. Er hat

dabei als entscheidend angesehen, daß es sich auch bei solchen Leistungen

aus der Sicht des stationär aufgenommenen Patienten und aus dem Blickwinkel

der Bundespflegesatzverordnung, die für die Vergütung vollstationärer und

teilstationärer Leistungen der Krankenhäuser maßgebend ist, um (stationäre)

Krankenhausleistungen handelt. Dem Gesichtspunkt, der in seiner eigenen

Praxis tätige Arzt oder der Arzt eines anderen Krankenhauses könne zu einer

Gebührenminderung nicht verpflichtet sein, weil er weder Einrichtungen,

Leistungen noch Dienste des Krankenhauses in Anspruch nehme, in dem sich der

Patient befinde, hat er keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Er hat –

wie bereits in seinem Urteil vom 17. September 1998 (III ZR 222/97) –

ausgeführt, § 6a GOÄ diene dem Ausgleich der finanziellen Benachteiligung

von Patienten mit stationärer privatärztlicher Behandlung, die sich daraus

ergebe, daß die Vergütung privatärztlicher Leistungen neben dem Entgelt für

die ärztliche Tätigkeit auch eine Abgeltung von weiteren Sach- und

Personalkosten der ärztlichen Praxis enthalte, wobei mit dem Pflegesatz für

das Krankenhaus Kosten ähnlicher Art abgegolten würden. Dem trage § 6a GOÄ

durch die Pflicht zur Gebührenminderung in einer pauschalierenden Art und

Weise Rechnung, ohne danach zu fragen, ob, bei wem und in welcher Höhe Sach-

und Personalkosten für die Leistungen im Einzelfall entstünden. Auch wenn

bei den hier in Rede stehenden Leistungen externer Ärzte Einrichtungen des

Krankenhauses nicht in Anspruch genommen würden, ergebe sich eine die

Anwendung des § 6a GOÄ rechtfertigende Mehrbelastung von Privatpatienten

daraus, daß für sie derselbe Pflegesatz für ihren Krankenhausaufenthalt

berechnet werde wie für sozialversicherte Patienten, bei denen mit dem

Pflegesatz zugleich die von externen Ärzten erbrachten Leistungen abgegolten

seien.

BGH,

Urteil vom 13. Juni 2002,

- III ZR 186/01 -

III. Bundesgerichtshof lockert Rechtsprechung zu Geschenken im Handel

Der u.a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des

Bundesgerichtshofs hat in heute verkündeten Urteilen die Grenzen zulässiger

Kopplungsangebote neu bestimmt.

In zwei Fällen hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs die

gemeinsame Werbung von zwei zum selben Konzern gehörenden Kölner

Handelsunternehmen beanstandet. Unter der Überschrift "Der größte Saftladen"

wurde dort als Blickfang für ein Fernsehgerät der Marke Grundig geworben,

das zum Preis von 1 DM angeboten wurde. Dieses Angebot galt allerdings nur,

wenn der Kunde gleichzeitig einen über mindestens zwei Jahre laufenden

Stromlieferungsvertrag mit einem neu in den Markt eintretenden

Energieunternehmen abzuschließen bereit war. Im dritten Fall hatte die

Verbraucherzentrale eine ähnliche Werbung eines Frankfurter

Handelsunternehmens beanstandet, in der ein – sonst für 249 DM angebotener –

Videorecorder blickfangmäßig unter der Überschrift "Irgendwo besseres

Angebot gesehen? Das gibt’s doch gar nicht!" zum Preis von 49 DM angepriesen

wurde. Auch hier galt das Angebot nur für den Fall, daß der Kunde

gleichzeitig einen über mindestens zwei Jahre laufenden

Stromlieferungsvertrag abschloß.

Bis zur Aufhebung der aus dem Jahre 1932 stammenden Zugabeverordnung im

Sommer 2001 war es dem Handel untersagt, dem Verbraucher für den Fall des

Kaufs einer bestimmten Ware Zugaben zu versprechen und zu gewähren. Parallel

dazu hatte die Rechtsprechung die Werbung mit Geschenken unter bestimmten

Voraussetzungen als einen Fall der unlauteren Werbung nach § 1 UWG

beurteilt. Eine Erwägung dieser auf das Reichsgericht zurückgehenden, in den

fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts weiter ausgebildeten

Rechtsprechung war es, daß der Verbraucher von derartigen Angeboten

übermäßig angelockt werde und seine Kaufentscheidung nicht mehr unter

rationalen Gesichtspunkten treffe. Vor einigen Jahren hatte der

Bundesgerichtshof allerdings entschieden, daß das kombinierte Angebot eines

geschenkten oder fast geschenkten Mobiltelefons mit einem Netzvertrag weder

gegen die Zugabeverordnung noch gegen § 1 UWG verstoße. Maßgeblich dafür war

zum einen die Vorstellung, daß die Verbraucher hinreichend aufgeklärt seien,

um zu erkennen, daß das Geschenk eines Mobiltelefons durch den Netzvertrag

finanziert werde. Zum anderen war von entscheidender Bedeutung, daß es sich

um ein einheitliches, eine Funktionseinheit bildendes Angebot (Handy plus

Netzzugang) handelte, das auf jeden Fall gekoppelt werden dürfe. Die Kölner

Werbung war vom Oberlandesgericht Köln mit der Begründung untersagt worden,

zwischen Fernsehgerät und Stromvertrag bestehe keine entsprechende

Funktionseinheit. Die Frankfurter Werbung war vom Oberlandesgericht

Frankfurt a.M. als zulässig angesehen worden, weil keine Gefahr bestehe, daß

die Verbraucher durch dieses Angebot übermäßig angelockt würden.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß der in der Aufhebung der

Zugabeverordnung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers zu

respektieren sei. Dies führe dazu, daß Geschenke und Zugaben auch nach § 1

UWG nur noch unter bestimmten engen Voraussetzungen untersagt werden

könnten. Die an den Kauf einer bestimmten Ware gebundenen Geschenke seien wie andere Kopplungsangebote auch grundsätzlich zulässig. Doch stecke in derartigen Angeboten ein erhebliches Irreführungs- und

Preisverschleierungspotential. Nach wie vor als unlauter zu beurteilen seien

daher mißbräuchliche Kopplungsangebote, die sich vor allem dadurch

auszeichneten, daß die Verbraucher über den wirklichen Wert des Angebots

getäuscht oder zumindest unzureichend informiert würden.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof die angefochtenen

Entscheidungen – wenn auch mit anderer Begründung – im wesentlichen

bestätigt. In den Kölner Fällen war an der Werbung auszusetzen, daß sie

nicht hinreichend deutlich auf die finanziellen Belastungen hinwies, die mit

dem Abschluß des Stromlieferungsvertrags verbunden waren. Der BGH hat klar

gemacht, daß immer dann, wenn bei einem gekoppelten Angebot der besonders

günstige Preis des einen Teils herausgestellt wird, der Preis des anderen

Teils ebenfalls deutlich herausgestellt werden muß. Ein Hinweis auf das

Kleingedruckte reicht insoweit grundsätzlich nicht aus. Daher wurde die

Verurteilung in den beiden Kölner Fällen bestätigt. Die Frankfurter Werbung

gab in dieser Hinsicht keinen Anlaß für Beanstandungen. In dem Frankfurter

Fall konnte daher die Klageabweisung bestätigt werden.

BGH,

Urteile vom 13. Juni 2002

– I ZR 71/01, I ZR 72/01

und I ZR 173/01 –

BGB – Allgemeiner Teil (Hemmung der Verjährung)

hier: § 209 a. F. BGB – Zur verjährungsunterbrechenden Wirkung einer bezifferten verdeckten Teilklage

Amtlicher Leitsatz:

Eine bezifferte verdeckte Teilklage unterbricht die Verjährung grundsätzlich nur im beantragten Umfang. Später nachgeschobene Mehrforderungen, die nicht auf einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse beruhen, sind verjährungsrechtlich gesondert zu beurteilen.

Aus den Gründen:

Der Kläger nahm die Beklagte wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch, weil die Bürgermeisterin ihm eine unzutreffende Auskunft über die Baulandqualität eines von ihm erworbenen Grundstücks erteilt habe.

Als Schadensersatz machte er einen Betrag von 118.836,00 DM geltend, den er

– nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das LG – um einen Betrag von 13.564,00 DM erweiterte.

Dieser Klageerweiterung ist die Beklagte mit der Verjährungseinrede entgegengetreten.

Der BGH entschied, daß die verjährungsunterbrechende Wirkung der Ursprungsklage sich auf die mit ihr geltend gemachte bezifferte Forderung von 118.836,00 DM nebst Zinsen beschränkte. Sie umfasste nicht die Mehrforderung, die (durch Anschlußberufung) in den Rechtsstreit eingeführt worden ist.

Die Grenzen der Verjährungsunterbrechung sind mit denen der Rechtskraft kongruent. Dem entspricht es, daß bei einer „verdeckten Teilklage“, d. h. einer solchen, bei der es weder für den Beklagten noch für das Gericht erkennbar ist, daß die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt, die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift.

Der Kläger ist in solchen Fällen zwar nicht gehindert, nachträglich Mehrforderungen geltend zu machen, auch wenn er sich solche im Vorprozeß nicht ausdrücklich vorbehalten hatte, er muß aber hinnehmen, daß die Verjährung des nachgeschobenen Anspruchs selbständig beurteilt wird (vgl. BGH, BGHZ 135, 178).

Ausnahmsweise kann allerdings etwas anderes gelten, nämlich etwa dann, wenn ein bezifferter Klageantrag auf den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 S. 2 BGB dahin ausgelegt werden kann, daß in Wahrheit der gesamte Geldbetrag gefordert werde, der entsprechend einem Sachverständigengutachten notwendig ist.

BGH,

Urteil vom 02.05.2002,

- III ZR 135/01 -

BGB – Allgemeiner Teil (Schadensersatzrecht)

hier: § 249 BGB – Zum haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang

Amtlicher Leitsatz:

Zum haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang bei selbstschädigendem Verhalten des Verletzten

Aus den Gründen:

Der Beklagte und seine Ehefrau, die Zeugin S., lebten getrennt. Die Zeugin unterhielt nach der Trennung eine freundschaftliche Beziehung zum Bruder des Klägers.

Am 30.05.1997 hielt sich die Zeugin S. in der im 2. Obergeschoß gelegenen 1-Zimmer-Wohnung ihres Freundes auf. Der Kläger leistete ihr Gesellschaft. Sein Bruder hatte zuvor die Wohnung verlassen, um Getränke zu holen.

Der Beklagte vermutete, seine Ehefrau könne sich in der Wohnung ihres Freundes aufhalten und begehrte Einlaß. Er trat die Wohnungseingangstür und sodann die Tür zum Flur zum Wohnzimmer ein. Als er mit der Flurtür in das Wohnzimmer „hineinkrachte“, riss der Kläger das Fenster auf und sprang aus ca. 8 – 10 m Höhe hinaus. Dabei zog er sich u. a. eine Kompressionsfraktur des 3. Lendenwirbelkörpers zu.

Der Kläger begehrte ein Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Das LG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Aus den Gründen:

Nach Auffassung der BGH-Richter hielt das Urteil des OLG nicht in jeder Hinsicht einer Überprüfung stand.

Der BGH folgte dem OLG insoweit nicht, als es in Zweifel gezogen hatte, der Zusammenhang zwischen dem Eindringen des Beklagten in die Wohnung und dem Sprung des Klägers seit adäquat kausal.

Der Haftung des Beklagten stand auch nicht entgegen, daß der geschädigte Kläger die Verletzungen durch seinen Sprung aus dem Fenster selbst mit herbeigeführt hatte.

„Bestand nämlich für die Handlung des Geschädigten ein rechtfertigender Anlaß oder wurde sie durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert, so bleibt der Zurechnungszusammenhang mit dem Verhalten des Schädigers bestehen, weil sich die Reaktion dann nicht als ungewöhnlich oder gänzlich unangemessen erweist.“

Diese Erwägungen kommen nicht nur in den sog. „Verfolgungsfällen“ zur Geltung, sondern sind Ausdruck eines auf rechtlichen Wertungen beruhenden Zurechnungsverständnisses, welches allgemein gilt.

Der Begriff der Herausforderung setzt danach voraus, daß der Schädiger durch ein vorwerfbares Tun bei dem Geschädigten eine mindestens im Ansatz billigenswerte Motivation zu dem selbstgefährdenden Verhalten gesetzt hat, die etwa auf Pflichterfüllung, Nothilfe oder Abwehr beruhen kann.

Diese Voraussetzungen sah der BGH im entschiedenen Fall als gegeben an.

BGH,

Urteil vom 16.04.2002,

- VI ZR 227/01 -

BGB – Allgemeiner Teil (Schadensersatz); ZPO

hier: § 252 BGB, § 287 ZPO

Amtlicher Leitsatz:

Zur Ermittlung des dem Kapitalanleger entgangenen Gewinns (hier: Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien), wenn der Vermögensverwalter die vertraglich vereinbarte Anlagestrategie („konservativ, Wachstum“) mißachtet.

Aus den Gründen:

Im März 1997 beauftragte der Kläger die Beklagte, ein international tätiges Finanzdienstleistungsunternehmen, sein Vermögen in Aktien anzulegen. Nach dem schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag sollte die Vermögensanlage nach folgender Konzeption erfolgen: Konservativ, Wachstum, 5 % Aktienoptionen).

Der Kläger eröffnete am 21.04.1997 bei der Beklagten ein Anlagekonto. Die Beklagte kaufte für ihn Optionen und investierte vor allem in Aktien, die an der NASDAQ notiert wurden. Am 06.04.1998 kündigte der Kläger den Vermögensverwaltungsvertrag.

Er machte geltend, die Beklagte habe abredewidrig mehr als 5 % des Anlagekapitals in Optionen angelegt.

Sie habe bei den Aktien hochspekulative Nebenwerte erworben. Bei vertragsgemäßer Anlage von 95 % des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierten Aktien hätte er einen Zuwachs von 56 % erzielt.

Mit dem OLG ging der BGH davon aus, daß die Beklagte den mit dem Kläger geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag schuldhaft verletzt hatte, so daß sie auf Schadensersatz haftete.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Investitionen im Aktienbereich ebenfalls nicht den vertraglichen Vereinbarungen entsprochen.

Probleme gab es bei der Schadensbemessung, bei der der BGH dem OLG nicht gefolgt ist.

Der Kläger kann gemäß § 252 S. 2 BGB den entgangenen Gewinn verlangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dazu kann auch der Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien gehören.

Der Geschädigte muß lediglich die Umstände dartun und beweisen, aus denen sich mit Wahrscheinlichkeit ergibt, daß er einen solchen Gewinn erzielt hätte.

Bei vertragsgerechtem Verhalten der Beklagten während der ersten sechs Wochen des Vermögensbetreuungsvertrages hätte die Beklagte den nach den genehmigten Optionsgeschäften verbliebenen Teil des Anlagekapitals, danach bis zur Schließung des Depots am 24.04.1998 95 % des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierten Aktien investiert.

Solche Aktien hätten in der Zeit von April 1997 bis April 1998 einen Kursgewinn von 56 % erzielt.

„Bei der Prüfung, ob nach den besonderen Umständen des Falles ein Gewinn mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 S. 2 BGB), kam es aber nicht nur auf die Kurse am 21.04.1997 (Eröffnung des Depots) und 24.04.1998 (Schließung des Depots), sondern auch auf die zwischenzeitliche und die weitere Kursentwicklung an.“

Hierbei hatte das OLG nicht berücksichtigt, daß nicht auf die Kursentwicklung eines Fonds abzustellen war, weil die Beklagte ein Einzeldepot zu betreuen hatte.

Wenn der vom OLG nach den beschriebenen Grundsätzen neu ermittelte Schaden nicht die Klagesumme erreichte, war zu prüfen, ob den Kläger – auf positive Vertragsverletzung und § 826 BGB (i. V. m. §§ 31, 831 BGB) gestützte – Schadensersatzansprüche wegen Churnings zustehen (vgl. BGH vom 23.09.1999, BGHR, BGB, § 826 Churning 2).

Der Kläger hatte nämlich geltend gemacht, die Beklagte habe die Aktien viel zu häufig ge- und verkauft; ihre Vermögensverwaltung sei ein unsystematisches „Herumgezocke“ mit dem Ziel der Spesenschinderei gewesen.

BGH,

Urteil vom 02.05.2002,

- III ZR 100/01 -

MHG

hier: § 3 III S. 2 MHG

Amtlicher Leitsatz:

Zur Erläuterung einer Mieterhöhungserklärung des Vermieters wegen baulicher Maßnahmen zur Einsparung von Heizenergie i. S. von § 3 III S. 2 MHG (seit 01.09.2001: § 559 b I S. 2 BGB) bedarf es nicht der Beifügung einer Wärmebedarfsberechnung.

BGH,

Beschluß vom 10.04.2002,

- VIII ARZ 3/01 -

InsO

hier: § 131 I InsO – Leistung des Schuldners auf eine fällige Forderung zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung als inkongruente Deckung

Amtlicher Leitsatz:

Eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung gewährt hat, stellt eine inkongruente Deckung dar.

Aus den Gründen:

Der BGH stellt zunächst klar, daß die InsO den Begriff der Gläubigerbenachteiligung nicht anders als die Gesamtvollstreckungsordnung versteht; deshalb gilt seine Rechtsprechung in gleicher Weise für das neue Recht.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine während der „kritischen“ Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 20.11.2001, ZiP 2002, 228 f).

§ 131 InsO verlegt diese schon im bisherigen Recht angelegte Ordnung zeitlich deutlich nach vorne.

Die Vorschrift verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zu Gunsten der Gleichbehandlung aller Gläubiger.

„Rechtshandlungen, die während des von dieser Vorschrift erfassten Zeitraums auf hoheitlichem Zwang beruhen, können daher entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung nicht mit der Erwägung als kongruent angesehen werden, dem Anfechtungsgegner habe ein fälliger Anspruch zugestanden, für den die Rechtsordnung das Instrumentarium der Einzelzwangsvollstreckung zur Verfügung stelle.“

Weil § 131 InsO die Rechtsstellung der Masse stärkt, ist eine Befriedigung oder Sicherung auch dann inkongruent, wenn diese unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung gewährt wurde, der Gläubiger also zum Ausdruck gebracht hatte, er werde alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen, wenn der Schuldner die Forderung nicht erfülle.

BGH,

Urteil vom 11.04.2002,

- IX ZR 211/01 -

ZuSEntschG

hier: § 3 I, II ZuSEntschG – „Massedurchfluß“

Amtlicher Leitsatz:

Für die Prüfung der Frage, ob er zur Erstellung eines Gutachtens in der Lage ist, steht dem als Sachverständigen in Aussicht genommenen regelmäßig eine Entschädigung nicht zu.

Aus den Gründen:

Der Senat hatte den Antragsteller gebeten mitzuteilen, ob er dazu in der Lage und bereit sei, als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten zu erstatten.

Zur Bestellung des Sachverständigen ist es nicht gekommen.

Der Antragsteller begehrte 3.800,00 DM Entschädigung, weil er aufgrund der Anfrage die ihm überlassenen Unterlagen intensiv durchgearbeitet und sich in der einschlägigen Fachliteratur kundig gemacht habe.

Der BGH gewährte ihm die Entschädigung nicht. Ein Sachverständiger werde für seine Leistung entschädigt (§ 3 I ZuSEntschG). Die Leistung i. S. dieser Vorschrift bestehe in der Erstattung des Gutachtens. Eine solche Leistung habe der Antragsteller nicht erbracht. Er sei nicht einmal zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt worden.

Hat ein Sachverständiger im Vorfeld einer Bestellung auf Anfrage des Gerichts Arbeiten erbracht, löst das eine Entschädigungspflicht nicht aus, wenn die Beantwortung der Anfrage ohne Schwierigkeiten und ohne nähere Untersuchungen bereits aus den ihm überlassenen Unterlagen möglich ist. Keine Entschädigungspflicht besteht, wenn die Anfrage zu aufwendigen Arbeiten im Vorfeld einer Bestellung keine Veranlassung gegeben hat.

BGH,

Beschluß vom 23.04.2002,

- X ZR 83/01 -

AGBG

hier: § 5 AGBG – Zur Anwendung der Unklarheitenregel bei übereinstimmendem Verständnis einer Klausel

Amtlicher Leitsatz:

§ 5 AGBG kommt nicht zur Anwendung, wenn die fragliche Klausel von den Parteien übereinstimmend in einem bestimmten Sinn verstanden worden ist.

Aus den Gründen:

Im entschiedenen Fall hatte das OLG als Vorinstanz die Unklarheitenregel des § 5 AGBG fehlerhaft angewendet.

Es hat zwar nicht verkannt, daß § 5 nur eingreift, wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (vgl. etwa BGH, NJW 1997, 3434, 3435).

Im vorliegenden Fall hat das OLG diese Voraussetzungen aber zu Unrecht bejaht, weil kein Streit darüber bestand, daß die vereinbarte Vertragsstrafe nur dann verwirkt ist, wenn zwei Bedingungen erfüllt waren.

Im Falle eines übereinstimmenden Verständnisses der Vertragsparteien von einer bestimmten Klausel ist § 5 AGBG nicht anwendbar.

BGH,

Urteil vom 22.03.2002,

- V ZR 405/00 -

ZPO

hier: § 514 ZPO a. F. – Mitteilung von der Zurücknahme einer Berufung als Berufungsverzicht

Amtlicher Leitsatz:

Eine von einem Rechtsanwalt nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten des Gegners abgegebene Erklärung, die fristwahrend eingelegte Berufung sei zurückgenommen worden, er möge sich nicht bestellen, kann als Verzicht auf die Berufung auszulegen sein.

Aus den Gründen:

Bei dem Berufungsverzicht handelt es sich um eine einseitige Prozeßhandlung, die, wenn sie gegenüber dem Gegner vorgenommen wird, erst auf dessen Einrede zur Verwerfung der Berufung als unzulässig führt.

Im übrigen ist unabhängig von der Wortwahl ein Rechtsmittelverzicht dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, das Urteil endgültig hinzunehmen und es nicht anfechten zu wollen (vgl. schon BGH, Urteil vom 20.07.1999 – X ZR 175/98).

BGH,

Urteil vom 12.03.2002,

- VI ZR 379/01 -

Steuerrecht

§§ 14, 27 UStG – Angabe der Steuernummer in der Rechnung

Nach den neuen §§ 14, 27 III UStG hat der leistende Unternehmer in seiner Rechnung, die nach dem 30.06.2002 ausgestellt wird, die ihm vom FA erteilte Steuernummer anzugeben. Die Neuregelung zielt auf eine erleichterte und beschleunigte Überprüfung von Lieferketten ab. Zur Anwendungen des neuen § 14 I a UStG hat die OFD Hannover folgendes angeführt:

1.

Die Verpflichtung zur Angabe der Steuernummer trifft jeden Unternehmer, der gemäß § 14 I UStG zur Ausstellung von Rechnungen verpflichtet ist. DIe Verpflichtung entfällt nur bei Kleinunternehmen i. S. d. § 19 I UStG.

2.

Vorstehendes gilt auch im Hinblick auf eine Gutschrift des leistenden Unternehmers.

3.

In Fällen der Organschaft ist bei Rechnungen unter dem Kopf der Organgesellschaft die Steuernummer des Organträgers anzugeben.

4.

Es ist die vollständige FA-Nummer einschließlich des betreffenden Länderschlüssels anzugeben.

5.

Die Neuregelung des § 14 I a UStG hat keine Bedeutung für Kleinbetragsrechnungen und Fahrausweise. §§ 33 und 34 UStG wurden nicht geändert.

6.

Bei Verstößen gegen die Neuregelung des § 14 I a UStG sind Sanktionen derzeit nicht vorgesehen. Dies wird sich erst ändern, wenn die Richtlinie 2001/115/EG vom 20.12.2001 „zur Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung“ in nationales Recht umgesetzt wird. Für die Umsetzung sieht die Richtlinie eine Frist bis zum 01.01.2004 vor.

OFD Hannover,

Vfg. vom 22.03.2002,

-S 7280-143-StH 542, S 7280-75-StO 354 -

§§ 33 d EStG – Weitergeleitetes Pflegegeld an Pflegeperson bei lediglich treuhänderischer Verwaltung unschädlich

Die Gewährung des Pflege-Pauschbetrages wird durch jegliche Art von Einnahmen der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Pflege, sei es als – steuerfreie – Pflegevergütung, sei es als Aufwendungsersatz und unabhängig von deren Höhe ausgeschlossen.

Die Weiterleitung des Pflegegeldes an die Pflegeperson ist unschädlich, wenn die Pflegeperson die Mittel lediglich treuhänderisch verwaltet und deren tatsächliche Verwendung für den Pflegebedürftigen nachweist.

Typische Unterhaltsaufwendungen dürfen nicht gegengerechnet werden. Die objektive Beweislast für steuermindernde Tatsachen trägt im übrigen der Steuerpflichtige. Entscheidend sei, zu wessen Gunsten sich ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal im konkreten Fall auswirkt. Voraussetzung ist hingegen, daß der entscheidungserhebliche Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zumutbarer Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden kann. Sowohl eine nachvollziehbare Vermögenstrennung als auch ein ggfls. vollständiger Nachweis der Mittelverwendung könne nicht der Finanzverwaltung aufgebürdet werden.

Denn insoweit handele es sich ausschließlich um Umstände im Herrschafts- und Wissensbereich des Steuerpflichtigen.

BFH,

Urteil vom 21.03.2002,

- III R 42/00 -

§ 13 II a ErbStG 1974 a. F.

Leitsätze:

1.

Hat der Schenker die Erklärung nach § 13 II a S. 1 Nr. 2 ErbStG in der bis Ende 1995 geltenden Fassung, daß der Freibetrag für eine Schenkung in Anspruch genommen wird, zu seinen Lebzeiten nicht abgegeben, kann diese nach dem Tod des Schenkers von seinen Gesamtrechtsnachfolgern abgegeben werden.

2.

Die Übertragung lediglich von Sonder-Betriebsvermögen ohne den Mitunternehmeranteil, zu dem es gehört, stellt keinen Übergang von Betriebsvermögen im Wege vorweggenommener Erbfolge i. S. von § 13 II a S. 1 Nr. 2 ErbStG 1974 a. F. dar.

BFH,

Urteil vom 20.03.2002,

- II R 53/99 -

§ 10 e EStG – Nachholung des Abzugs nicht ausgenutzter Grundförderbeträge nach § 10 e EStG

Auch unter Geltung des § 10 e III S. 1 EStG i. d. F. des WEG können nicht ausgenutzte Grundförderbeträge nach § 10 e I und II EStG auch dann nachgeholt werden, wenn der Steuerpflichtige im Jahr der Nachholung nicht mehr zur Inanspruchnahme eines Abzugsbetrages berechtigt ist.

Voraussetzung für die Nachholung der Grundförderung ist nur, daß der Steuerpflichtige ihm zustehende Abzugsbeträge nicht ausgenutzt hat und sie bis zum Ende des 4. Jahres des Abzugszeitraums benötigt.

§ 33 EStG – Nicht zugelassenes Medikament zur Behandlung einer unheilbaren Krankheit als außergewöhnliche Belastung

Aufwendungen für ein sich noch in der Erprobungsphase befindliches und in Deutschland nicht zugelassenes Medikament, das speziell auf die Behandlung einer bisher unheilbaren Krankheit (hier: das Präparat DSG für Muliple Sklerose) zugeschnitten ist und dessen Wirksamkeit im Zeitpunkt der Anwendung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft für möglich bzw. nicht völlig ausgeschlossen gehalten wird, können als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sein.

Ein Abstellen auf die Beihilfevorschriften oder die Erstattungsrichtlinien der Krankenkassen ist in derartigen Fällen nicht sachdienlich.

FG München,

Urteil vom 19.12.2001,

- 1 KL 4737/00 -

Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 III EStG – Böse Überraschungen durch die Änderung der EStR 2001

Nach § 10 III EStG wird der sog. Vorwegabzug zur Ermittlung des Höchstbetrages für abzugsfähige Sonderausgaben i. H. v. 6.000,00 DM/12.000,00 DM (ab 2002 3.068,00 €/6.136,00 €) um 16 v. H. des Bruttoarbeitslohns gekürzt, wenn z. B. für den AN steuerfreie Zukunftssicherungsleistungen i. S. d. § 3 Nr. 62 EStG schon erbracht worden sind. Nach R 106 S. 2 EStR 2001 ist eine Kürzung dieses Vorwegabzugs auch dann vom vollen Arbeitslohn anzunehmen, wenn nur für einen Teil des Veranlagungszeitraums steuerfreie Zukunftssicherungsleistungen i. S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder der Steuerpflichtige nur zeitweise zum Personenkreis des § 10 c III Nr. 1 oder 2 EStG gehört.

Bei Ehegatten ist folgender Hinweis zu geben: Sofern der Arbeitgeber den Arbeitslohn aus geringfügiger Beschäftigung pauschal besteuert hat, wird der Arbeitslohn der Ehefrau nicht in die Einkommensteuerveranlagung der Eheleute einbezogen, somit unterbleibt auch die Kürzung des Vorwegabzugs.