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Infobrief - Hamm - 07/2001

I. Bundesgerichtshof zur Sachverständigenhaftung

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Haftung eines in einem behördlichen Verfahren von der Behörde zugezogenen Sachverständigen gegenüber einem Dritten zu entscheiden. Die Klägerin ist Mehrheitsaktionärin eines teilkonzessionierten Kreditinstituts. Dieses Kreditinstitut beantragte Ende 1992 beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen eine Vollbankerlaubnis. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ordnete vor der Entscheidung über diesen Antrag gegenüber der Klägerin eine Sonderprüfung nach § 44 b KWG an, mit der die Beklagte, eine Wirtschaftsprüfergesellschaft, beauftragt wurde. Der Prüfbericht der Beklagten befaßte sich u.a. mit einem von der Klägerin angebotenen Vermögensanlagemodell. Auf Beanstandungen der Klägerin hin korrigierte die Beklagte ihre in dem Prüfbericht in Bezug auf das Vermögensanlagemodell enthaltene Aussage teilweise. Die Klägerin hielt die Korrekturen für unzureichend und meint, der Beklagten seien bei der Erstattung des Gutachtens schwere Fehler unterlaufen; sie verlangte mit ihrer Klage Schadensersatz wegen der nach ihrer Ansicht fehlerhaften gutachterlichen Äußerung der Beklagten, daß bei dem von der Klägerin angebotenen Vermögensanlagemodell ein Anlageerfolg von über 18 bzw. 14 % erzielt werden müsse, um im zehnten Jahr den vom Anleger eingezahlten Betrag auszahlen zu können. Den Schaden sieht sie darin, daß die beantragte Vollbankerlaubnis bisher nicht erteilt wurde. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat auch die Revision zurückgewiesen. Er hat insbesondere Schadensersatzansprüche gegen den von dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zugezogenen Sachverständigen unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte verneint. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die stillschweigend Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages insbesondere bei Verträgen anzunehmen, mit denen der Auftraggeber von einer Person, die über besondere vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, wie z.B. ein öffentlich bestellter Sachverständiger, ein Wirtschaftsprüfer oder ein Steuerberater ein Gutachten bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen. In die Schutzwirkung eines Vertrages über die Erstattung eines Gutachtens durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen zum Wert eines Grundstücks sind danach alle diejenigen einbezogen, denen das Gutachten nach seinem erkennbaren Zweck für Entscheidungen über Vermögensdispositionen vorgelegt werden soll. Dies gilt jedoch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht in gleicher Weise in Fällen, in denen eine Behörde im Rahmen der ihr im öffentlichen Interesse obliegenden Verwaltungsaufgaben einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Durch diese Form der Sachverhaltsaufklärung wird der Dritte nicht ohne weiteres in den Schutzbereich des Vertrages der Behörde mit dem von ihr zugezogenen Sachverständigen einbezogen.

BGH, Urteil vom 26. Juni 2001 - X ZR 231/99 -

II. Bundesgerichtshof zur Unterlassung von Industrielärmimmissionen bei späterer Wohnbebauung in der Nachbarschaft Der für Grundstücks- und Nachbarrechtsfragen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte über den Anspruch auf Unterlassung von Lärmimmissionen einer Hammerschmiede zu entscheiden. Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks, das sie im Jahr 1990 erworben und mit einem von ihnen bewohnten Einfamilienhaus bebaut haben. Das Grundstück liegt am Rand eines allgemeinen Wohngebiets. In einer Entfernung von etwa 160 m betreibt die Beklagte in einem Industriegebiet seit mehr als 30 Jahren - im jetzigen Umfang seit 1986 - eine behördlich genehmigte Hammerschmiede. Die Betriebszeit beträgt werktäglich acht Stunden; die vom Schmieden mit Riemenfallhämmern verursachten Lärmimmissionen, welche die in öffentlich-rechtlichen Vorschriften festgelegten Richtwerte nicht überschreiten, dauern ca. zwei bis fünf Stunden täglich an. Das Berufungsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Es hat die Lärmimmissionen trotz Einhaltens der Richtwerte als wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung des klägerischen Grundstücks angesehen, die nicht geduldet werden müsse. Dem Umstand, daß die Kläger erst lange nach Inbetriebnahme der Hammerschmiede ihr Grundstück erworben und bebaut haben, hat es keine Bedeutung beigemessen. Der Bundesgerichtshof hat einen Anspruch auf Unterlassung der Lärmimmissionen verneint, selbst wenn die Benutzung des Grundstücks der Kläger wesentlich beeinträchtigt sein sollte. Das Berufungsgericht habe nämlich den Umstand, daß die Beklagte die Hammerschmiede schon seit mehr als 30 Jahren betreibe, während die Kläger ihr Grundstück erst vor etwa 10 Jahren erworben und bebaut hätten, nicht ausreichend berücksichtigt. Nach der Rechtsprechung des V. Zivilsenats liefere zwar die zeitliche Priorität dem Störer keinen Rechtfertigungsgrund für die Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbarn. Aus dem sogenannten nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringe aber nach Treu und Glauben eine Pflicht zu gesteigerter gegenseitiger Rücksichtnahme, die dazu führen könne, daß die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werde. Das gelte insbesondere dann, wenn sich jemand - wie hier die Kläger - in Kenntnis der Sachlage bewußt der Gefahr von Geräuschbelästigungen aussetze und sodann deren Unterlassung verlange. Denn wer trotz der Möglichkeit, sich auf die vorgefundene Situation einzustellen, gleichsam “sehenden Auges” erst die Konfliktlage zwischen Industrie- und Wohnnutzung schaffe, könne sich später nicht auf die sich aus der wesentlichen Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung ergebenden Rechte berufen, wenn die Immissionen die zulässigen Richtwerte nicht überschreiten. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

BGH, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00 -

BGB – Allgemeiner Teil hier: § 151 BGB – Zu den Voraussetzungen der stillschweigenden Annahme eines Abfindungsangebots durch Einlösung eines mit diesem übersandten Schecks Amtlicher Leitsatz: Zu den Voraussetzungen der stillschweigenden Annahme eines Abfindungsangebots durch Einlösung eines mit diesem übersandten Schecks, dessen Betrag in krassem Mißverhältnis zur unbestrittenen Forderung steht („Erlaßfalle“; im Anschluß an BGHZ 111, 97, 101 ff.). Die Klägerin verlangt einen für längere Zeit rückständigen Mietzins von 147.890,00 DM nebst Zinsen nach fristloser Kündigung des Mietverhältnisses. Der Beklagte teilte mit, daß er den Rückstand „trotz aller Bemühungen … vertragstreu zu sein“ nicht werde begleichen können. In seinem Schreiben heißt es ferner: „Da ich bemüht bin, auch diese Angelegenheit im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten abzuschließen, überreiche ich Ihnen in der Anlage einen V-Scheck über 1.000,00 DM zur endgültigen Erledigung obiger Angelegenheit. Eine Antwort auf dieses Schreiben erwarte ich nicht, eine Antwort ist auch nicht notwendig, da ich meine, daß insofern alles besprochen ist.“ Die Klägerin löste den V-Scheck ein. Sie verrechnete die Zahlung in Höhe von 70,00 DM auf vorgerichtliche Mahnkosten und im übrigen auf einen näher bezeichneten Teil der Zinsen auf die Hauptforderung; insoweit erklärten beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das LG gab der nach Teilerledigung noch anhängigen Klage statt. Das OLG wies die Klage mit der Begründung ab, mit der Einlösung des Schecks habe die Klägerin das Angebot des Beklagten zum Abschluß eines Abfindungsvertrages angenommen, so daß die Klageforderung erloschen sei. Der BGH hob auf und verwies zurück. Das OLG hatte bei der Würdigung der Einlösung des Schecks als Betätigung eines wirklichen Annahmewillens der Klägerin gegen anerkannte Auslegungsregeln verstoßen und maßgebliche Umstände des vorliegenden Einzelfalls unzureichend berücksichtigt (§ 286 ZPO). Das Angebot des Beklagten entspricht dem Muster, das in Rechtsprechung und Literatur als „Erlaßfalle“ bezeichnet wird. Schon die Rechtsprechung der Instanzgerichte hat bei einem krassen Mißverhältnis der angebotenen Abfindung zur Höhe der nicht bestrittenen Schuld das Zustandekommen eines Vergleichs oder eines Abfindungs- oder Erlaßvertrages in zahlreichen Fällen verneint (es folgen Nachweise). Im entschiedenen Fall war zu berücksichtigen, daß das im Mißverhältnis zwischen Gesamtforderung und Abfindungsangebot zu sehende Indiz gegen eine bewußte Betätigung des Annahmewillens umso stärkeres Gewicht hat, je krasser dieses Mißverhältnis ist und daß in gleichem Maße die Anforderungen an die Redlichkeit, die der Rechtsverkehr vom Angebotsempfänger im Hinblick auf die bestimmungsmäßige Verwendung des Schecks erwarten darf, bis hin zur Unbeachtlichkeit dieser Verwendungsbestimmung relativiert werden können, insbesondere vor dem Hintergrund, daß es zunächst der säumige Schuldner selbst ist, der sich nicht vertragstreu verhält. Hier machte die angebotene Abfindung gerade mal 0,68 % der Hauptforderung (ohne Zinsen) aus. Ein Abfindungsvertrag war damit nicht zustande gekommen, so daß die Forderung der Klägerin nicht erloschen ist.

BGH, Urteil vom 10.05.2001 - XII ZR 60/99 -

BGB – Allgemeines Schuldrecht, Kaufrecht hier: §§ 276, 434, 440 I BGB – Zum Schadensersatzanspruch bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch den Verkäufer u. a. Amtliche Leitsätze:

1. Verletzt ein Verkäufer seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten dadurch, daß er den Käufer über einen Umstand nicht ordnungsgemäß unterrichtet, der einen Rechtsmangel darstellt, so werden auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht durch die Gewährleistungsansprüche wegen des Rechtsmangels ausgeschlossen

2. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn feststeht, daß ohne das schädigende Verhalten ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. Läßt sich diese Feststellung nicht treffen, so kann der Geschädigte, der an dem Vertrag festhalten will, als Ersatz des negativen Interesses verlangen, so gestellt zu werden, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Aus den Gründen: Die Kläger und eine GmbH kauften von dem Beklagten zwei gewerblich genutzte Grundstücke. Das Eigentum wurde umgeschrieben. Eine etwa 4.000 qm große Teilfläche eines der Grundstücke war durch Vertrag vom 21.12.1979 an eine KG vermietet, die dort einen Auto- und Reifenservicebetrieb eingerichtet hatte. Die Vertragsurkunde bestimmt unter § 3 eine Befristung des Mietverhältnisses bis zum 31.12.1994, wobei der Mieterin ein Optionsrecht auf Verlängerung des Mietverhältnisses um einmal fünf Jahre eingeräumt wurde. Die Kläger hatten das Grundstück erworben, um dort ein Boardinghouse zu errichten. Im Oktober 1993 verhandelten sie mit der KG über eine vorzeitige Aufhebung des Mietvertrages. Sie erfuhren erst da – so behaupten sie, daß der Beklagte der Mieterin durch eine Vereinbarung vom Mai 1993 eine weitere Option auf Verlängerung des Vertragsverhältnisses um nochmals fünf Jahre nach dem 31.12.1999 eingeräumt hatte. Man einigte sich sodann auf die „Entmietung“ einer Hoffläche von etwa 1.000 qm, und die Klägerin errichtete das Boardinghouse. Sie verlangte von dem Beklagten die Zahlung von 300.000,00 DM als Schadensersatz, weil er mit der Option zur Verlängerung des Mietverhältnisses bis Ende 2004 einen Mangel des Grundstücks arglistig verschwiegen habe. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Der BGH hob auf und verwies zurück. Die weitere Verlängerungsoption stellt einen Rechtsmangel dar. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus c.i.c. hatte das OLG aber unrichtig beurteilt. Ein solcher Anspruch kann auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn ohne das schädigende Verhalten mit einem Dritten oder auch demselben Vertragspartner ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. Die Kläger haben vorgetragen, bei Kenntnis des weiteren Optionsrechts wäre ein um 300.000,00 DM niedrigerer Kaufpreis vereinbart worden. Der Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens ist nicht durch die Vorschriften der §§ 440 I, 326 I BGB ausgeschlossen. Er folgt aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird und ist vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig. Dieser Schadensersatzanspruch kann das Erfüllungsinteresse auch übersteigen. Dagegen knüpft der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 440 I, 325 ff. BGB an die Verletzung von vertraglichen Hauptpflichten an, die erst durch den Vertragsschluß festgelegt werden. Dem zuletzt genannten Schadensersatzanspruch kommt Vorrang gegenüber einem Anspruch aus c.i.c. nicht zu. Bei einem Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens sind die Kläger so zu stellen, wie sie bei Offenbarung der für ihren Kaufentschluß maßgeblichen Umstände ständen. Schaden ist dann der Betrag, um den sie im Streitfall wegen der fehlenden Mitteilung über das weitere Optionsrecht der Mieterin das Grundstück zu teuer erworben haben. Ob der Vertragsgegner sich auf einen Vertragsabschluß zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte, ist unerheblich. Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers.

BGH, Urteil vom 06.04.2001 - V ZR 394/99 -

BGB – Besonderes Schuldrecht hier: § 765 BGB – Zur Bürgschaft auf erstens Anfordern Amtlicher Leitsatz: Wird in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die Vorlage einer schriftlichen Bestätigung des Hauptschuldners über ihm erbrachte Leistungen vorausgesetzt, braucht der Bürge ohne Vorlage einer solchen Urkunde grundsätzlich auch dann nicht zu leisten, wenn der Hauptschuldner – eine GmbH – inzwischen wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden ist. Aus den Gründen: Die Beklagte übernahm gegenüber der Klägerin unter Bezugnahme auf den Generalunternehmervertrag, den die Klägerin mit einer Immobilien- und Beteiligungsgesellschaft mbH geschlossen hatte, eine unbefristete Bürgschaft, in der es heißt: „… übernehmen wir … für die Erfüllung sämtlicher Ansprüche, die dem Auftragnehmer gegen den Auftraggeber dadurch entstehen, daß der Auftraggeber die vereinbarten Zahlungen … nach Vorlage der schriftlichen Bestätigung des Auftraggebers über die erbrachten Bauleistungen … nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig leistet, die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Betrage von 750.000,00 DM. Wir verpflichten uns, auf erste schriftliche Anforderung an den Auftragnehmer zu leisten.“ Die Immobilien- und Beteiligungsgesellschaft bezahlte Rechnungen der Klägerin nicht, die Klägerin stellte die Arbeiten ein und berechnete nach Auftragskündigung den restlichen Werklohn. Die Immobilien- und Beteiligungsgesellschaft ist inzwischen wegen Vermögenslosigkeit im HR gelöscht. Die Klägerin verlangte nun von der Beklagten aufgrund ihrer Bürgschaft 750.000,00 DM.

Das LG wies die Klage ab, das OLG gab ihr in der Hauptsache statt. Das Rechtsmittel führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Aus den Gründen: Wird in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern – wie hier – die Vorlage bestimmter, in der Bürgschaftsurkunde genau umschriebener Urkunden vorausgesetzt, braucht der Bürge nur zu zahlen, wenn der Gläubiger die Urkunde vorlegt (vgl. z. B. BGH, WM 1995, 8339). Solche formalen Merkmale dienen bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern auch der inhaltlichen Eingrenzung der Haftung. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern soll dem Gläubiger keine Erleichterung bringen, wenn darin ein urkundlicher Nachweis der Forderung sowie ihre Berechtigung ausdrücklich vereinbart ist. Der Gläubiger muß also die in der Bürgschaft bezeichnete Urkunde beibringen. Er kann den Hauptschuldner auf Abgabe der erforderlichen Erklärung auch dann verklagen, wenn der Hauptschuldner im HR als vermögenslos gelöscht worden ist. Besteht ein berechtigtes Interesse an einer von der gelöschten GmbH abzugebenden Erklärung, ist nämlich diese Gesellschaft zum Zweck der prozessualen Durchsetzung des Anspruchs als existent anzusehen. Der Senat äußert sich dann noch zu den Voraussetzungen einer Umdeutung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in eine gewöhnliche Bürgschaft.

BGH, Urteil vom 26.04.2001 - IX ZR 317/98 - BGB –

Besonderes Schuldrecht (Deliktsrecht) hier: § 852 II BGB – Zum Begriff der Verhandlungen i. S. des § 852 II BGB (gleichlautend mit dem Leitsatz)

Aus den Gründen: Immer wieder kommt es zu prozessualen Auseinandersetzungen darüber, was unter dem Begriff der „Verhandlungen“ i. S. des § 852 II BGB zu verstehen ist. Der BGH hat ständig entschieden, daß dieses „Verhandeln“ weit zu verstehen ist. Es genügt jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen schweben daher schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein. Nicht erforderlich ist, daß dabei eine Vergleichsbereitschaft ohne eine Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird (zuletzt BGH vom 20.02.2001 – VI ZR 179/00 (noch nicht veröffentlicht)). BGH, Urteil vom 08.05.2001 - VI ZR 208/00 - Familienrecht § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO; § 31 Abs.1 Nr. 3 BRAGO - Keine Beweisgebühr ohne anhängigen Sorgerechtsantrag bei Anhörung der Eheleute zur elterlichen Sorge Leitsatz: Die Anhörung der Eheleute zur elterlichen Sorge gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO bleibt ohne gleichzeitige Anhängigkeit eines Antrages zur Regelung der elterlichen Sorge ohne Auswirkung auf den Wert des Scheidungsbundverfahrens, so dass die in diesem Rahmen entfaltete anwaltliche Tätigkeit keine Beweisgebühr auslöst. OLG Hamm Beschluss vom 21.09.2000 – 2 WF 371/00 – ( AG Tecklenburg) – 1 F 11/00- ( AG Tecklenburg) Hammer Leitlinien zur Düsseldorfer Tabelle Es gibt eine neue Fassung der Hammer Leitlinien, die die Familiensenate des Oberlandesgerichts Hamm in Anlehnung an die Düsseldorfer Tabelle herausgeben. Die vorliegende Fassung, gültig ab 01. Juli 2001, in Euro ab 01. Januar 2002 wurde durchgehend überarbeitet und in Teilbereichen ergänzt sowie neu strukturiert. Die Leitlinien stellen keine verbindlichen Regelungen dar, sie schränken die richterliche Unabhängigkeit nicht ein. Ihr Ziel ist aber die Vereinheitlichung der Rechtsprechung in Unterhaltssachen im gesamten OLG-Bezirk. Sie können die Hammer Leitlinien abrufen unter www.olg-hamm nrw.de und dort unter der Rubrik „Service“.

ZPO hier: § 233 ZPO – Zur Verpfichtung des Rechtsanwalts, anläßlich eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Einhaltung der Berufungsfrist zu überprüfen

Amtlicher Leitsatz: Es besteht keine Verpflichtung des Rechtsanwalts, anläßlich eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Einhaltung der Berufungsfrist zu prüfen. Aus den Gründen: Der BGH hält zunächst an seiner ständigen Rechtsprechung fest, daß der Rechtsanwalt bei fristwahrenden Prozeßhandlungen den Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt wird, eigenverantwortlich auf der Grundlage der Handakten zu prüfen hat. Bei Unterzeichnung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist muß aber die Einhaltung der Berufungsfrist nicht geprüft werden. Die Berufungsfrist ist in dieser Zeit in aller Regel längst verstrichen. Der Ablauf der Berufungsfrist ist für die Frage der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Bedeutung. Die Begründungsfrist beginnt unabhängig von der Wahrung der Berufungsfrist mit der Einlegung der Berufung (§ 519 I 2. HS ZPO). Daher bedeutet es eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen, von einem Rechtsanwalt zu verlangen, daß er bei der Unterzeichnung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auch die Einhaltung der Berufungsfrist prüfen müsse (offen gelassen noch in BGH NJW RR 1997, 759).

BGH, Urteil vom 04.05.2001 - V ZR 434/00 -

ZPO hier: § 727 ZPO – Zur Anwendbarkeit auf vorläufig vollstreckbare Urteile Amtlicher Leitsatz: § 727 ZPO findet auch für vorläufig vollstreckbare Urteile Anwendung. Aus den Gründen: Die Klägerin verlangt restlichen Werklohn. Das OLG hat ihren Anspruch, teilweise Zug um Zug gegen Beseitigung von Restfeuchte, zugesprochen. Der Beklagte hat das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil des OLG mit der Revision angefochten. Die Rechtspflegerin des BGH hat der Rechtsnachfolgerin der Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung des Berufungsurteils erteilt. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung mit der Begründung, § 727 ZPO sei im Falle vorläufig vollstreckbarer Urteile nicht anwendbar. Der BGH ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat festgestellt, daß § 727 ZPO für sämtliche Vollstreckungstitel (§ 795 ZPO) gilt. Die Vorschrift findet auch für vorläufig vollstreckbare Urteile Anwendung (ganz herrschende Meinung; vgl. etwa Zöller/Stöber ZPO, 22. Aufl. § 727 RN 25).

BGH, Beschluß vom 23.05.2001 - VII ZR 469/00 -

Steuerrecht § 10 III EStG – Beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen durch § 10 III EStG ist nach Auffassung des FG Köln verfassungsgemäß. Die unterschiedlichen Versorgungssysteme für Selbständige, Beamte und sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer rechtfertigen eine Ungleichbehandlung in Bezug auf die steuerrechtliche Regelung des Vorwegabzugs und dessen Kürzung.

FG Köln, Urteil vom 16.12.1999, - 2 K 8306/98 - (nicht rkr.; Rev. eingelegt beim BFH – XI R 17/00) § 31 V EstG i. V. m. § 36 II S. 1

EStG – Anrechnung von Kindergeld Aufgrund mehrerer Anfragen im Zusammenhang mit dem geänderten § 1612 b BGB und seine Auswirkung auf die Anrechnung von Kindergeld bei der sog. „Günstigerprüfung“ nach o. g. Vorschrift hat die OFD Berlin folgende Hinweise gegeben: § 1612 b BGB regelt die zivilrechtliche Anrechnung des Kindergeldes bei barunterhaltspflichtigen Elternteilen. Eine Änderung hat das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts“ vom 02.11.2000 gebracht. Danach wird das Kindergeld insoweit nicht angerechnet, als 135 % des Regelsatzes nicht erreicht werden. Praktisch bedeutet das, daß das Kindergeld lediglich teilweise, gestaffelt bis zum Tabellensatz nach Einkommensgruppe 6 (= 135 % des Regelsatzes) angerechnet wird. Dies führt bei barunterhaltspflichtigen Elternteilen zu einer höheren Unterhaltsverpflichtung. Die Änderung des Kindesunterhaltsrechts hat jedoch keine Auswirkung auf das Steuerrecht, hier verbleibt es bei dem gesetzlich festgelegten Halbteilungsgrundsatz. Das dem barunterhaltspflichtigen Elternteil im Wege des zivilrechtlichen Ausgleichs zustehende Kindergeld wird also auch dann i. H. v. 50 v. H. des Kindergeldes angerechnet, wenn unterhaltsrechtlich die Anrechnung nur zu einem geringeren Anteil vorgenommen wird. OFD Berlin, Verfügung vom 14.03.2001, - St 179 – S 2282 – 5/01 - Vorsteuerabzug aus Rechnungen, in denen der Bruttobetrag und die Umsatzsteuer, nicht aber das Entgelt aufgeführt ist Der BFH hat entschieden, daß eine Rechnung, in der zwar der Bruttopreis, der Steuersatz und der USt-Betrag, nicht aber das Entgelt ausgewiesen ist, grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Nach der Vereinfachungsregelung von Abschnitt 202 Abs. 4 S. 2 UStR soll der Vorsteuerabzug hingegen vorgenommen werden können, wenn der Rechnungsaussteller in der Rechnung Entgelt und Steuerbetrag in einer Summe (Bruttobetrag) angegeben und zusätzlich den Steuerbetrag vermerkt hat. Hierzu und zu dem Urteil des BFH vom 27.07.2000 – V R 55/99 – liegt nunmehr ein BMF-Schreiben vor. Danach soll das Urteil des BFH über den Einzelfall hinaus anwendbar sein. Danach ist der leistende Unternehmer bei Umsätzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen auf Verlangen verpflichtet, Rechnungen auszustellen, die sowohl das Nettoentgelt, als auch den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag enthalten (§ 14 I S. 1 und 2 UStG). Die Vereinfachungsregel kann jedoch noch bis zum 31.12.2001 angewendet werden. BMF-Schreiben vom 05.06.2001 - IV B 7 – S 7280-18/01 - Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit Nach der Richtlinie 93/104 EG des Rates vom 23.11.1993 darf die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tage-Zeitraum 48 Stunden, einschließlich der Überstunden nicht überschreiten. Die maßgebliche Arbeitszeit i. S. der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der vorgenannten Richtlinie ist die gesamte Zeitspanne, während der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Arbeitszeit ist auch Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit. Davon zu unterscheiden ist die Ruhezeit. Zeiten der Rufbereitschaft, in denen die Arbeitnehmer frei über ihre Zeit verfügen können und eigenen Interessen nachgehen können, gelten als Ruhezeit. Die Entscheidung, die insbesondere für Ärzte und Krankenhäuser von Bedeutung ist, hat das Arbeitsgericht Gotha durch Beschluß vom 03.04.2001 - 3 Bv 1/01 – n. rkr., DB 2001, 1254 im Anschluß an EuGH, Urteil vom 03.10.2000- Rs.C-303/89, NZA 2000, 1227 getroffen.

Wirtschaftsrecht Betrug durch Einstellung von Mitarbeitern durch vermögenslose Firma Die Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft zur Einbringung von Dienstleistungen einzusetzen, kann zum strafrechtlich geschützten Vermögen gehören, wenn solche Leistungen üblicherweise nur gegen Entgelt erbracht werden. Ein Arbeitgeber, der Mitarbeiter einstellt, ohne sie (ausreichend) bezahlen zu können, kann sich deshalb wegen Betruges (§ 263 StGB) strafbar machen, wenn ihm die eigene Leistungsunfähigkeit bewußt ist. Unerheblich ist hierbei, ob der betroffene Arbeitnehmer die Möglichkeit gehabt hätte, seine Arbeitskraft anderweitig gewinnbringend einzusetzen.

BGH, Urteil vom 18.01.2001, - 4 StR 315/00 -

Kosten für Unfall eines betrieblichen Pkw auf Privatfahrt Werden Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens auch privat genutzt, sind grundsätzlich die darauf entfallenden Aufwendungen als Wert der privaten Nutzung dem betrieblichen Gewinn hinzuzurechnen (sog. Nutzungsentnahme).

Bei der Nutzung eines betrieblichen Pkw kann dieser Wert entweder nach den anteiligen tatsächlichen Fahrzeugkosten oder mit einer Pauschalregelung (sog. 1 v. H.-Methode) ermittelt werden. Für den Fall, daß ein betrieblicher Pkw auf einer Privatfahrt zerstört oder erheblich beschädigt wird, stellt sich die Frage, mit welchem Wert die Entnahme anzusetzen ist. Nach der bisherigen Praxis liegt eine Nutzungsentnahme lediglich i. H. des Restbuchwertes des Pkw vor; Schadensersatzleistungen (z. B. von Versicherungen) sind dabei als Betriebseinnahme zu erfassen, soweit sie diesen Restbuchwert übersteigen. Dieser Praxis ist jetzt der VIII. Senat des BFH entgegengetreten. Nach Auffassung des Gerichts muß die anzusetzende Entnahme den vollständigen durch die private Nutzung hervorgerufenen Wertverzehr umfassen. Dieser besteht in der Differenz zwischen den tatsächlichen Werten des beschädigten Pkw vor und nach dem Unfall. Der BFH begründet diese Auffassung damit, daß in der Vergangenheit steuermindernd vorgenommene Abschreibungen über den Entnahmesatz rückgängig gemacht werden sollen. Wie ebenfalls klargestellt wird, sind z. B. Versicherungsleistungen für einen Unfall auf einer Privatfahrt nicht gewinnerhöhend, sondern als private Einnahme zu behandeln. Beispiel: Unternehmer U. erleidet mit einem betrieblichen Pkw einen Unfall auf einer privaten Urlaubsfahrt. Der Pkw ist voll abgeschrieben (Erinnerungswert: 1 DM); der Zeitwert betrug vor dem Unfall 20.000,00 DM und nach dem Unfall 5.000,00 DM. U. veräußert den Pkw unrepariert zum Zeitwert von 5.000,00 DM und schafft einen Neuwagen an. Die Vollkaskoversicherung erstattet einen Betrag von 10.000,00 DM. Bisherige Praxis: Versicherungsleistung 10.000,00 DM Veräußerungsgewinn (5.000,00 DM ./. 1,00 DM) 4.999,00 DM Gewinnerhöhung 14.499,00 DM Neue Auffassung des BFH: Nutzungsentnahme (20.000,00 DM ./. 5.000,00 DM) 15.000,00 DM Versicherungsleistung –,– DM Veräußerungsgewinn (5.000,00 DM ./. 1,00 DM) 4.999,00 DM Gewinnerhöhung 19.999,00 DM Das Gericht hat auch zu dem Sachverhalt Stellung genommen, daß der Pkw repariert und weiterhin im Unternehmen genutzt wird. Dabei entstehende Reparaturkosten wären danach – entgegen der bisherigen Praxis – grundsätzlich betrieblich veranlaßt und als Betriebsausgaben abzugsfähig. Da der VIII. Senat des BFH mit diesem Beschluß von der früheren Rechtsprechung abweicht, hat er diese Problematik dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die endgültige Klärung dieser Frage bleibt daher abzuwarten.