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Infobrief - Hamm - 08/2002

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof zur Haftung der Deutschen Post AG bei Verlust von Wertsendungen

Die Klägerin macht Ersatzansprüche ihrer Versicherungsnehmerin, der

WGZ-Bank, aus abgetretenem und übergegangenem Recht wegen des Verlustes von Postsendungen geltend, für die sie Ersatz geleistet hat.

Die Bank lieferte bei Postämtern der Beklagten insgesamt sechs Pakete ein,

die Banknoten im Wert von 250.000 DM, 200.000 DM und 150.000 DM enthielten

und die für verschiedene Raiffeisenbanken und Volksbanken bestimmt waren.

Die WGZ-Bank deklarierte die Pakete jeweils mit der Wertangabe "3.500,- DM".

Am 3. März 1995 wurden die sechs Pakete aus einem Zustellfahrzeug der

Beklagten gestohlen. An diesem Tag lud der Betriebsassistent K. der

Beklagten die sechs Wertpakete in einen Lkw. Entgegen der Dienstanweisung

trug er den für die Pakete ausgestellten Ladezettel nicht am Körper, sondern

steckte ihn auf eines der Wertpakete. Außerdem sicherte er die Laderaumtüren

des Lkw nicht. Anschließend fuhr K. mit dem Lkw an eine Postabgangsstelle.

Dort ließ er den Lkw etwa eine Viertelstunde unbeaufsichtigt mit geöffneten

Laderaumtüren an einer Rampe stehen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch

der Postangestellte J. an der Postabgangsstelle. Dieser wurde wegen des

Diebstahls der sechs Pakete rechtskräftig verurteilt. Die Beklagte

erstattete pro Paket 3.500 DM. Weitere 447.850 DM stellte die zuständige

Staatsanwaltschaft sicher und kehrte den Betrag an die Klägerin aus.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte sowohl wegen

der vorsätzlichen Dienstpflichtverletzung ihres Betriebsassistenten als auch

wegen des Diebstahls ihres Angestellten. Die Beklagte hat sich unter anderem

damit verteidigt, ihr sei ein etwaiger Diebstahl des J. nicht zuzurechnen,

K. habe seine Pflichten nicht vorsätzlich verletzt. Im übrigen sei der

Schadensersatzanspruch nach § 14 Abs. 1 PostG 1989 ausgeschlossen, da die

WGZ-Bank den Schaden dadurch überwiegend verursacht habe, daß die Wertpakete

nicht ordnungsgemäß deklariert worden seien.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat

einen Schadensersatzanspruch aus § 12 Abs. 6 PostG 1989 verneint, weil J.

nicht Erfüllungsgehilfe gewesen sei und deshalb die Beklagte für seine

vorsätzliche Pflichtverletzung nicht hafte. Für den durch die

Pflichtverletzung des K. verursachten Schaden habe die Beklagten nicht

aufzukommen, weil der Schadensersatzanspruch nach § 14 Abs. 1 PostG 1989

ausgeschlossen sei. Da die WGZ-Bank durch fehlerhafte Wertangaben über den

Inhalt ihre Paketsendungen nicht ordnungsgemäß eingeliefert habe, werde nach

Satz 2 der Bestimmung überwiegende Verursachung des Schadens vermutet, was

nach Satz 1 der Vorschrift zum Haftungsausschluß führe. Dabei ergebe sich

aus Nr. 6.1.1 der Anlage 2 der AGB FrD Inl der Beklagten die Pflicht des

Postkunden zur wahrheitsgemäßen Wertangabe.

.

Der unter anderem für Werkvertragsrecht zuständige X. Zivilsenat des

Bundesgerichtshofs ist dem nicht gefolgt. Er hat ausgeführt, daß die

Beklagte im Rahmen des § 12 Abs. 6 PostG 1989 haftet, wenn der Schaden mit

einer typischen postalischen Tätigkeit und den damit verbundenen besonderen

Gefahren in Zusammenhang stehe und von ihren Bediensteten durch eine

vorsätzliche Pflichtverletzung verursacht worden sei. Dabei erfordere die

unbeschränkte Haftung nach § 12 Abs. 6 PostG 1989 lediglich, daß sich der

Vorsatz des Bediensteten auf die Verletzung seiner Pflichten beziehe; nicht

erforderlich sei es, daß der Vorsatz auch den durch die Pflichtverletzung

verursachten Schaden umfasse.

Der Bundesgerichtshof hat einen Ausschluß der Haftung der Post auf Grund der

bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts verneint. § 14 Abs. 1 PostG

1989 setze eine Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 254 Abs. 1 BGB

voraus. Der in Satz 1 der Vorschrift geregelte Haftungsausschluß greife nur

Platz, wenn die Abwägung nach § 254 BGB ergebe, daß der Schaden überwiegend

durch den Absender verursacht worden sei. Nur unter dieser Voraussetzung

verdränge § 14 Abs. 1 Satz 1 PostG 1989 zugunsten der Post die

Verursachungsabwägung nach § 254 BGB, und zwar auch dann, wenn der Schaden

durch eine vorsätzliche Pflichtverletzung eines Bediensteten der Post

mitverursacht worden sei. Habe hingegen die Post den Schaden überwiegend

verursacht oder lasse sich ein überwiegender Beitrag des Absenders nicht

feststellen, so verbleibe es bei der Regel des § 254 Abs. 1 BGB. Die

Vermutungsreglung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 PostG 1989 enthebe die Post

lediglich des Beweises überwiegender Verursachung des Schadens bei nicht

ordnungsgemäßer Einlieferung einer Sendung. Voraussetzung sei, daß das

konkrete, das Transportrisiko erhöhende Verhalten des Absenders bei der

Einlieferung der Sendung für den Eintritt des Schadens in nicht

unerheblicher Weise ursächlich gewesen sei. Hierzu fehlten ausreichende

Feststellungen des Berufungsgerichts.

BGH,

Urteil vom 16. Juli 2002

– X ZR 250/00 -

BGB – Allgemeines Schuldrecht, Sachenrecht

hier: §§ 138, 1191 I BGB – Zur Übertragung der Grundsätze zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft auf die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld

Amtliche Leitsätze:

1.

Die zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft entwickelten Grundsätze sind auf die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld grundsätzlich nicht übertragbar.

2.

Die Vorschrift des § 138 I BGB will den Sicherungsgeber insbesondere nicht davor bewahren, einen Vermögensgegenstand als Sicherheit zu geben, bei dessen Verwertung er neben wirtschaftlichen auch persönliche Nachteile, wie etwa den Verlust des langjährig genutzten Eigenheims, erleidet (im Anschluß an BGH vom 26.04.2001, NJW 2001, 2466).

Aus den Gründen:

Die Kläger wandten sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde. Sie sind Miteigentümer eines Grundstücks in D., welches sie im Jahre 1963 mit einem von ihnen selbst genutzten Reihenhaus bebaut hatten. Im Jahre 1997 bestellten sie zu Gunsten der Beklagten eine erstrangige Grundschuld über 150.000,00 DM und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück.

Mit dem Kredit über 150.000,00 DM sind Verbindlichkeiten bei der Beklagten zurückgeführt worden.

Nach dem Tode des Kreditnehmers begann die Beklagte mit der Verwertung der ihr von den Klägern gegebenen Sicherheit.

Das LG hatte die Vollstreckungsabwehrklage abgewiesen, das OLG hatte ihr stattgegeben.

Der BGH hob das Urteil auf und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Der Senat führt aus, daß die Grundsätze zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft auf die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld nicht übertragbar sind.

Hier sei keine Bürgschaft bestellt worden, sondern die dingliche Haftung der Kläger beruhe auf der Grundschuldbestellung, Haftungsgrundlage sei also die mit dem Grundpfandrecht belastete Immobilie. Schon das stehe einer Gleichsetzung mit einem Bürgen, der mit seinem gesamten Einkommen und Vermögen, also nicht nur mit einem Vermögensgegenstand hafte, entgegen.

Wegen ihrer dinglich beschränkten Haftung drohe den Klägern keine weitergehende Inanspruchnahme.

Auf den Schutz des § 138 I BGB könnten sich die Kläger auch deshalb nicht berufen, weil diese Vorschrift den Sicherungsgeber nicht davor bewahren wolle, einen Vermögensgegenstand als Sicherheit zu geben, bei dessen Verwertung er neben wirtschaftlichen auch persönliche Nachteile, wie etwa den Verlust des langjährig genutzten Eigenheims, erleide.

§ 138 I BGB habe regelmäßig nicht den Zweck, das Eigenheim eines Bürgen auf Dauer zu erhalten, auch wenn dessen Einkommen die Pfändungsfreibeträge nur in begrenztem Umfang übersteigt.

Ebensowenig schütze die Norm die Möglichkeit eines dauerhaft mietfreien Wohnens.

Das habe erst recht für den dinglichen Sicherheitengeber zu gelten, der nur einen konkreten Vermögensgegenstand als Sicherheit zur Verfügung stellt und sich keiner persönlichen Zahlungsverpflichtung aussetzt.

BGH,

Urteil vom 19.06.2002,

- IV ZR 168/01 -

BGB – Besonderes Schuldrecht

hier: § 313 a. F. BGB – Zur Beurkundungsbedürftigkeit eines Bauvertrages gemäß § 313 BGB

Amtlicher Leitsatz:

Ist ein Bauvertrag von einem Grundstückskaufvertrag abhängig, dieser aber nicht von ihm, ist er nicht gemäß § 313 BGB zu beurkunden (im Anschluß an BGH, NJW 2000, 951).

Aus den Gründen:

Ein Vertrag, der als solcher dem Formgebot des § 313 S. 1 BGB nicht unterliegt, ist dann notariell zu beurkunden, wenn er mit einem Grundstücksgeschäft i. S. dieser Vorschrift eine rechtliche Einheit bildet.

Eine rechtliche Einheit besteht dann, wenn die Verträge nach dem Willen der Parteien derart voneinander abhängen, daß sie miteinander stehen und fallen sollen (ständige Rechtsprechung des BGH).

Der V. ZS des BGH hat wiederholt auf die Abhängigkeit des Grundstückskaufvertrages als maßgebliches Kriterium für die Formbedürftigkeit des gesamten Geschäfts hingewiesen.

Er hat dazu ausgeführt, allein die einseitige Abhängigkeit des formfreien Geschäfts vom Grundstückskaufvertrag genüge nicht, eine rechtliche Einheit i. S. des Formgebots zu begründen.

Dieser Auffassung hat sich inzwischen auch der VII. Senat des BGH angeschlossen:

„Es ist maßgeblich auf Sinn und Zweck des Beurkundungsbedürfnisses abzustellen. Allein eine wirtschaftliche Verknüpfung der Verträge gebietet es nicht, das Formerfordernis des § 313 BGB auf den Bauvertrag zu erstrecken. Erst bei einer Abhängigkeit des Grundstücksgeschäfts vom Bauvertrag besteht Anlaß, zur Wahrung der Funktionen des § 313 BGB (Warn- und Schutzfunktion, Gewährsfunktion für richtige, vollständige und rechtswirksame Wiedergabe des Parteiwillens, Beweisfunktion) das Formgebot auf den Bauvertrag auszudehnen.“

BGH,

Urteil vom 13.06.2002,

- VII ZR 321/00 -

BGB – Besonderes Schuldrecht, Allgemeiner Teil

hier: §§ 765, 138 BGB – Geltung der Grundsätze zur Sittenwidrigkeit und Bürgschaft für Kommanditisten einer KG, die für die Verbindlichkeiten der KG die Mithaftung oder Bürgschaft übernehmen

Amtlicher Leitsatz:

Die vom BGH entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Mithaftung und Bürgschaft finanziell überforderter Angehöriger gelten grundsätzlich nicht für Kommanditisten einer KG, die für Verbindlichkeiten der KG die Mithaftung oder Bürgschaft übernehmen.

Etwas anderes gilt, wenn der Kommanditist ausschließlich Strohmann-Funktion hat, die Mithaftung oder Bürgschaft nur aus emotionaler Verbundenheit mit der hinter ihm stehenden Person übernimmt und beides für die kreditgebende Bank evident ist.

BGH,

Urteil vom 28.05.2002,

- XI ZR 199/01 -

BGB – Besonderes Schuldrecht, ZPO

hier: § 812 I S. 1 BGB; §§ 829, 840 ZPO

Amtlicher Leitsatz:

Leistet der Drittschuldner an den Vollstreckungsgläubiger, weil er irrtümlich davon ausgeht, daß die gepfändete und zur Einziehung überwiesene Forderung besteht, kann er den gezahlten Betrag vom Vollstreckungsgläubiger kondizieren (im Anschluß an BGHZ 82, 28).

Aus den Gründen:

Im entschiedenen Fall wollte die Klägerin durch die Zahlung auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß dem Einziehungsrecht des Beklagten Rechnung tragen.

Die gepfändete Forderung bestand aber nicht.

Das OLG als Vorinstanz hatte sich der im Schrifttum ganz überwiegenden vertretenen Meinung angeschlossen, der Drittschuldner, der aufgrund des ergangenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit befreiender Wirkung nur noch an den Vollstreckungsgläubiger leisten könne, verfolge jedenfalls auch den Zweck, dessen Einziehungsrecht zum Erlöschen zu bringen.

Existiere die gepfändete Forderung des Vollstreckungsschuldners gegen den Drittschuldner nicht, könne dieser direkt kondizieren.

Nach der Rechtsprechung des BGH richtet sich der Bereicherungsanspruch im 3-Personen-Verhältnis entscheidend danach, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben.

Es könne grundsätzlich nicht angenommen werden, daß der Drittschuldner mit der Zahlung an einen Vollstreckungsgläubiger lediglich den Zweck verfolge, seine Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner zu erfüllen.

„Sein Interesse ist vielmehr i. d. R. darauf gerichtet, mit der Zahlung an den Pfändungsgläubiger auch jeder weiteren Inanspruchnahme durch andere Vollstreckungsgläubiger zu entgegen. Er verfolgt deshalb mit der Zahlung auch den Zweck, das jeweilige Einziehungsrecht des Vollstreckungsgläubigers zum Erlöschen zu bringen. Der Vollstreckungsgläubiger ist auch dann Leistungsempfänger, wenn die gepfändete Forderung in Wahrheit nicht besteht, weil sie zuvor anderweitig abgetreten wurde.“

Den hier zu beurteilenden Fall, in dem der Drittschuldner auf eine nicht bestehende Schuld an den Vollstreckungsgläubiger gezahlt hat, hat der BGH ausdrücklich noch nicht entschieden. Er ist aber in den vorangegangenen Entscheidungen als selbstverständlich davon ausgegangen, daß die Zahlung des Drittschuldners an den Vollstreckungsgläubiger ohne Rechtsgrund erfolgt und von diesem kondiziert werden kann, wenn die gepfändete und ihm zur Einziehung überwiesene Forderung nicht besteht. Das entspricht auch der Interessenlage.

Es ist deshalb bereicherungsrechtlich irrelevant, ob die Pfändung und Überweisung ins Leere geht, weil die Forderung einem anderen Gläubiger zusteht oder deswegen, weil sie gar nicht existiert.

BGH,

Urteil vom 13.06.2002,

- IX ZR 242/01 -

BGB – Deliktsrecht, ZPO

hier: § 823 BGB, § 286 ZPO

Amtlicher Leitsatz:

Der Tatrichter darf einen groben Behandlungsfehler nicht ohne ausreichende Grundlage in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen bejahen (im Anschluß an die ständige Senatsrechtsprechung, zuletzt Urteil vom 03.07.2001, VersR 2001, 1116, 1117).

Aus den Gründen:

Der Senat befaßt sich zunächst mit der Haftung eines Hausarztes und führt aus, daß ein Hausarzt sich im allgemeinen zwar darauf verlassen dürfe, daß die Klinikärzte seinen Patienten richtig behandelt und beraten haben und meist auch auf deren bessere Sachkunde und größere Erfahrung vertrauen dürfe.

Anders sei es aber dann, wenn der Hausarzt ohne besondere weitere Untersuchungen aufgrund der bei ihm vorauszusetzenden Kenntnisse und Erfahrungen erkenne oder erkennen müsse, daß ernste Zweifel an der Richtigkeit der Krankenhausbehandlung oder der dort seinen Patienten gegebenen ärztlichen Ratschläge bestehen.

In einem solchen Fall dürfe er im Rahmen seiner eigenen ärztlichen Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber offenbare Versehen oder ins Auge springende Unrichtigkeiten nicht unterdrücken.

Dasselbe müsse auch dann gelten, wenn der Hausarzt nach den bei ihm vorauszusetzenden Erkenntnissen und Erfahrungen jedenfalls gewichtige Zweifel und Bedenken hat, ob die Behandlung im Krankenhaus richtig war. Das gebiete der Schutz des dem Arzt anvertrauten Patienten.

Es folgen sodann Feststellungen zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers.

Ein grober Behandlungsfehler ist nicht bereits bei zweifelsfreier Feststellung einer Verletzung des maßgeblichen ärztlichen Standards gegeben; er setzt vielmehr neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraus, daß der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Dabei ist es dem Tatrichter nicht gestattet, ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen medizinischen Ausführungen des Sachverständigen einen groben Behandlungsfehler aus eigener Wertung zu bejahen.

Kann sich der Sachverständige auch zur Schwere des Behandlungsfehlers nicht eindeutig äußern, ist das Berufungsgericht gehalten, durch eine gezielte Befragung des Gutachters auf die Beseitigung der sich hieraus ergebenden Zweifel und Unklarheiten hinzuweisen.

Kann sich der Sachverständige in einem solchen Fall nicht festlegen und liegen die Voraussetzungen für eine zusätzliche Begutachtung nicht vor, darf der Tatrichter sich

nicht über verbleibende Zweifel hinwegsetzen, wenn er nicht ausnahmsweise über eigene Sachkunde verfügt (BGH, VersR 2001, 859, 860).

BGH,

Urteil vom 28.05.2002,

- VI ZR 42/01 -

AGBG

hier: § 9 II Nr. 2 AGBG

Amtlicher Leitsatz:

Eine vom Bauträger gestellte Klausel, die vorsieht, daß der Bauträger erst haftet, wenn der Erwerber sich erfolglos bemüht hat, die ihm abgetretenen Gewährleistungsansprüche des Bauträgers gegen die anderen am Bau Beteiligten durchzusetzen, ist gemäß § 9 II Nr. 2 AGBG unwirksam.

Aus den Gründen:

In einer AGBG-Klausel war vorgesehen, daß der Verkäufer (Bauträger) dem Käufer gegenüber in dem Umfang haftet, wie ihm gegenüber die am Bau Beteiligten haften.

Schon diese Klausel sah der BGH als unwirksam an, weil sie den Erwerber gegenüber der gesetzlichen Regelung benachteiligt. Die Klausel schließt nämlich die Haftung des Bauträgers für ein eigenes vertragswidriges Verhalten aus.

Im übrigen hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, daß eine sog. Subsidiaritätsklausel in einem Bauträgervertrag wirksam sein kann, wenn sie weder von dem Erwerber die gerichtliche Verfolgung der abgetretenen Ansprüche verlangt, noch ihm aufgrund ihrer sprachlichen Fassung den Eindruck vermittelt, er müsse die anderen am Bau Beteiligten gerichtlich ohne Erfolg in Anspruch genommen haben, bevor der Bauträger haftet.

Die hier vom Bauträger verwendete Klausel war aber unwirksam, weil sie dem Zweck des Bauträgervertrages entgegensteht.

Bei einem solchen Vertrag schließt der Erwerber einen Vertrag mit einem Generalunternehmer ab.

Damit soll die Durchführung und Abwicklung des Vertrages durch einen Vertragspartner des Erwerbers gewährleistet sein.

Diese Vertragsgestaltung und die damit für den Erwerber verbundenen Vorteile werden durch die Subsidiaritätsklausel für den Zeitraum, in dem der Erwerber sich um die Durchsetzung gegenüber den anderen am Bau Beteiligten bemühen muß, zu seinen Lasten weitgehend aufgehoben.

BGH,

Urteil vom 21.03.2002,

- VII ZR 493/00 -

Familienrecht

Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer

Eheleute sind sowohl während der Ehe als auch im Jahr der Trennung zu einer Mitwirkung zu der steuerlichen Zusammenveranlagung gemäß § 1353 I S. 2 BGB verpflichtet. Diese Pflicht besteht allerdings nur, wenn sich dadurch die Steuerschuld des Veranlagenden verringert, der Verpflichtete aber keiner zusätzlichen steuerlichen Belastung ausgesetzt wird. Sie ergibt sich aus dem Wesen der Ehe bzw. nach Scheidung als Nachwirkung der Ehe, die finanziellen Lasten des anderen Teils zu vermindern, soweit dies ohne Verletzung eigener Interessen möglich ist. Eine Zusammenveranlagung kann noch so lange gewählt werden, bis die Einzelveranlagungen beider Partner bestandskräftig sind.

BGH,

Urteil vom 12.06.2002,

- XII ZR 288/00 -

ZPO

hier: §§ 212 a, 547 a. F. ZPO – Zum Beweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis gemäß § 212 a ZPO enthaltenen Angaben

Aus den Gründen:

Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hatte die Zustellung eines Urteils auf einem EB nach § 212 a ZPO a. F. bescheinigt, das den Datumsstempel des 27.01.2001 trug.

Der BGH macht auf seine ständige Rechtsprechung aufmerksam, wonach ein derartiges EB grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung erbringt.

Allerdings ist der Beweis der Unrichtigkeit der im EB enthaltenen Angaben zulässig; an diesen Beweis sind aber strenge Anforderungen zu stellen.

Er verlangt, daß die Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß die Angaben des EB richtig sein können.

Der Beweis der bloßen Möglichkeit der Unrichtigkeit reicht nicht aus.

Das gilt auch für die Frage, ob ein aus einem EB ersichtliches Datum den Zeitpunkt der Zustellung zutreffend wiedergibt.

Im entschiedenen Fall hatte der erkennende Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, daß das Urteil später als am 27.01.2001 zugestellt worden war.

Der Senat hielt die Richtigkeit des aus dem EB ersichtlichen Datums für allenfalls erschüttert.

BGH,

Urteil vom 18.06.2002,

- VI ZR 448/01 -

Steuerrecht

Privatnutzung von Bonus-Meilen durch Arbeitnehmer

Freiflüge und sonstige Sachprämien, die eine Fluggesellschaft aus dem personenbezogenen Bonusprogramm gewährt und die vom Berechtigten nach beruflicher Ansammlung zu privaten Zwecken genutzt werden, sind bis zu einem Wert von 1.224,00 € pro Jahr steuerfrei (§ 3 Nr. 38 EStG). Die Freiflüge sind mit dem Wert anzusetzen, der sich für einen entsprechenden Mitarbeiterflug (ohne Abschläge) ergeben würde. Der darüber hinausgehende Betrag wird von deutschen Fluggesellschaften grundsätzlich einer pauschalen Einkommensteuer i. H. v. 2 v. H. (§ 37 a I EStG) unterworfen. Dies bedeutet, daß die Freiflüge für den Prämienberechtigten auch über den Freibetrag hinaus steuerfrei sind.

Erhält ein AN Freiflüge von ausländischen Luftfahrtunternehmen, die einen Antrag auf Pauschalbesteuerung nicht gestellt haben, sind die in Anspruch genommenen Freiflüge zwar auch bis zu einem Wert von 1.224,00 € steuerfrei, den übersteigenden Betrag muß der AN bei privater Nutzung aber versteuern.

§ 30 AO – Auskünfte an Unbekannte

Bei Auskünften an Unbekannte über Verhältnisse von Steuerpflichtigen muß zweifelsfrei feststehen, daß der Anfragende tatsächlich zum Kreis der auskunftsberechtigten Personen gehört. Das ist nicht bereits dann der Fall, wenn er den Anschein erweckt, über die Angelegenheit unterrichtet zu sein. Die Angabe der Steuernummer durch den Auskunftsersuchenden reicht allein nicht aus. Da die Steuernummer eines Steuerpflichtigen in Freistellungsbescheinigungen nach § 48 b anzugeben ist (s. § 48 b III Nr. 1 EStG), kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie nur dem Steuerpflichtigen selbst oder seinem Bevollmächtigten bekannt ist. Dies gilt umso mehr, als Unternehmer ab dem 01.07.2002 in Rechnungen die ihnen vom FA erteilte Steuernummer anzugeben haben (§ 14 I a UStG i. V. m. § 27 III UStG i. d. F. des Art. 1 StVBG).

OFD Magdeburg,

Verfügung vom 23.05.2002,

- S 0130 – 41 – St 311 -

§§ 53, 115, 116, 119 FGO; §§ 2, 5, 9 VwZG; §§ 166, 174 ZPO i. d. F. des ZustRG

Nach dem bis zum 30.06.2002 geltenden Zustellungsrecht des VwZG konnte im finanzgerichtlichen Verfahren eine Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht wirksam per Telefax erfolgen. Fehlt es an einem ordnungsgemäßen Zustellungsgegenstand, kommt eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 9 I VwZG nicht in Betracht. Ist der Prozeßbevollmächtigte unter Berufung auf diesen Zustellungsmangel nicht zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen und war damit der Kläger nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, so liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel / absoluter Revisionsgrund i. S. des § 119

Nr. 4 FGO vor, weil unwiderleglich vermutet wird, daß das angefochtene Urteil auf der nicht ordnungsgemäßen Vertretung beruht.

BFH,

Beschluß vom 27.06.2002,

- VII B 171/01 -

§ 361 III AO; § 114 FGO – Vollstreckung aus Folgebescheiden

Bei Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides ist auch die Vollziehung des Folgebescheides auszusetzen (§ 361 III S. 1 AO).

Schwebt bzgl. des Grundlagenbescheides ein Aussetzungsverfahren, wobei die Aussetzung der Vollziehung noch nicht erfolgt ist, kann auch aus dem Folgebescheid grundsätzlich nicht vor Abschluß des Aussetzungsverfahrens vollstreckt werden. Der Steuerpflichtige kann seinen Anspruch auf ungestörte Durchführung des Aussetzungsverfahrens im Wege der E. A. (§ 114 FGO) geltend machen.

FG Saarland

vom 17.05.2002,

- 1 V 45/02 -

§ 7 g EStG – Finanzierungszusammenhang zwischen Investition und Rücklagenbildung bei der Ansparabschreibung

Zwischen der Bildung einer Rücklage nach § 7 g III EStG und der Investition muß ein Finanzierungszusammenhang bestehen. Dieser ist nicht gewahrt, wenn die Rücklage erst später als 2 Jahre nach Anschaffung des Wirtschaftsgutes gebildet wird.

BFH,

Urteil vom 14.08.2001,

- XI R 18/01 -

§ 7 i EStG – Bescheinigung der Denkmalbehörde

Die von einer Denkmalbehörde nach § 82 i ESTDV (heute: § 7 i EStG) erteilte Bescheinigung ist nur bindend, wenn die Höhe der begünstigten Aufwendungen aus ihr ersichtlich ist. Bei einem Dauersachverhalt, wie für die 10 Jahre lang abzuziehenden erhöhten Absetzungen nach § 82 i EStG ist das FA für jeden Veranlagungszeitraum des Begünstigungszeitraums grundsätzlich verpflichtet, die Voraussetzungen der erhöhten Absetzungen erneut zu überprüfen.

BFH,

Urteil vom 11.06.2002,

- IX R 970/97 -

§ 9 I Nr. 1 EStG –Darlehen der Kinder an den Vater mit geschenkten Mitteln der Mutter

Schenkt eine Mutter ihren minderjährigen Kindern einen Geldbetrag, der zeitnah dem Vater zur Finanzierung der Anschaffung eines Grundstücksanteils als Darlehen gewährt wird, überträgt der Vater sodann die Hälfte des Grundstücks auf die Mutter und investiert diese einen Betrag in die Renovierung des Gebäudes, die dem Wert ihres Anteils entspricht, ist dies nicht rechtsmißbräuchlich. Allein der Umstand, daß im zeitlichen Zusammenhang mit der Schenkung der Darlehensvertrag geschlossen wurde, bewirkte nicht, daß die zivilrechtlich wirksame Schenkung steuerrechtlich lediglich als Schenkungsversprechen zu bewerten ist.

BFH,

Urteil vom 19.02.2002,

- IX R 32/98 -

§ 10 d EStG – Verlustabzug in Erbfällen

Ein vom Erblasser mangels positiver Einkünfte nicht ausgeglichener Verlust ist bei der Veranlagung des Erben für das Jahr des Erbfalls zu berücksichtigen. Der Erbe kann die Verluste des Erblassers jedoch nur dann ausgleichen bzw. abziehen, wenn er durch sie wirtschaftlich belastet ist. Hierzu gilt folgendes: Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 16.05.2001 – IR 76/99 unter Hinweis auf den Beschluß vom 29.03.2000 – I R 76/99, BStBl 2000 II S. 622) liegt eine wirtschaftliche Belastung des Erben insbesondere dann nicht vor, wenn der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet.