Pressemitteilungen des Bundesgerichtshofs - 02/2001
I. Bundesgerichtshof äußert sich zur Frage der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern
Der für Dienstvertragsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rahmen der Entscheidung über eine außerordentliche Beschwerde zu der Frage Stellung genommen, ob ehemalige Zwangsarbeiter von den Firmen, für die sie ihre Arbeitsleistung erbracht haben, eine Entschädigung verlangen können.
Die in der Ukraine geborene und auch heute dort lebende Klägerin wurde im Jahre 1942 in einem Sammeltransport aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht. Dort arbeitete sie in einem Betrieb der Beklagten bis zum Kriegsende 1945. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die von ihr 36 Monate lang geleistete Zwangsarbeit eine angemessene Vergütung in Höhe von ca. 40.000 DM sowie eine pauschale Entschädigung in Höhe von 6.000 DM wegen der Umstände der Unterbringung in einem umzäunten Lager und der schlechten Verpflegung.
Das Landgericht München I hat der Klägerin die beantragte Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage versagt. Die Beschwerde der Klägerin wurde durch das Oberlandesgericht München zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hatte nunmehr über die außerordentliche Beschwerde der Klägerin zu entscheiden.
Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung maßgeblich auf § 16 des am 12. August 2000 in Kraft getretenen Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (Stiftungsgesetz) vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1263) gestützt.
Die Klägerin, die aus ihrer Heimat in das Deutsche Reich deportiert und dort zu einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen gezwungen wurde, gehört zu den Personen, die Leistungen nach dem Stiftungsgesetz beanspruchen können (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes). Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes können Leistungsberechtigte im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht keine weitergehenden Ansprüche (mehr) geltend machen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, das ausweislich der amtlichen Begründung auch und gerade dem Anliegen deutscher Unternehmen, umfassenden und dauerhaften Rechtsfrieden innerhalb und außerhalb Deutschlands zu erhalten, Rechnung tragen will, stehen der Klägerin Forderungen gegen das Unternehmen, das sie in den Kriegsjahren als Zwangsarbeiterin beschäftigt hat, nicht zu.
Angesichts dieser klaren Gesetzeslage fehlt nach Auffassung des III. Zivilsenats jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß die auf den in § 16 des Stiftungsgesetzes normierten Anspruchsausschluß abstellende Entscheidung des Oberlandesgerichts "greifbar gesetzeswidrig", d.h. mit der geltenden Rechtsordnung schlecht-hin unvereinbar sein könnte. Weil diese Voraussetzungen aber hätten erfüllt sein müssen, damit die Klägerin mit Erfolg die Entscheidung des Oberlandesgerichts mit einer im Gesetz nicht vorgesehenen (daher außerordentlichen) Beschwerde hätte zu Fall bringen können, hat der Bundesgerichtshof die Beschwerde als unzulässig verworfen. In seiner Begründung ist der Bundesgerichtshof auch auf die Frage der - von der Klägerin in Abrede gestellten - Verfassungsmäßigkeit des Stiftungsgesetzes eingegangen. Hierzu hat er ausgeführt: Der Gesetzgeber hat den in § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes enthaltenen Anspruchsausschluß unter dem Aspekt des Art. 14 GG geprüft. Er ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß die von ihm gefundene Lösung verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil an die Stelle vermeintlicher Ansprüche gegen vielerorts nicht mehr existierende Anspruchsgegner eine angemessen ausgestattete Stiftung trete, die auch denjenigen ehemaligen Zwangsarbeitern offenstehe, deren früherer "Arbeitgeber" nicht mehr haftbar gemacht werden könne und auch nicht zu den Stiftungsunternehmen gehöre. Des weiteren hat der Gesetzgeber in seine Überlegungen den Umstand mit einbezogen, daß die Wiedergutmachungsgesetze der Bundesrepublik Deutsch-land einen Entschädigungsanspruch wegen Zwangsarbeit nicht vorsehen, und außerdem berücksichtigt, daß bislang keine rechtskräftige Gerichtsentscheidung bekannt geworden sei, die einen gegen ein Unternehmen gerichteten Entschädigungsanspruch eines ehemaligen Zwangsarbeiters für begründet erachtet habe.
Der III. Zivilsenat vermochte schon nicht zu erkennen, daß diese Einschätzung der Verfassungslage durch den Gesetzgeber so verfehlt sein könnte, daß deshalb eine Vorlage nach § 100 Abs. 1 GG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes in Betracht zu ziehen wäre. Jedenfalls könne keine Rede davon sein, daß die Ausschlußnorm des § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes so evident verfassungswidrig sei, daß in der Anwendung dieses Gesetzes durch die Gerichte eine greifbare Gesetzwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gesehen werden könnte.
BGH, Beschluß vom 30. November 2000, - III ZB 46/00 -
II. Nichtigkeit einer Abschlagszahlungsvereinbarung im Bauträgervertrag bei einem Verstoß gegen die Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV)
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit zwei parallelen Urteilen vom 22.12.2000 zu den Grundsatzfragen Stellung genommen, welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn eine Abschlagszahlungsvereinbarung in einem Bauträgervertrag zu Lasten des Erwerbers gegen die Regelung des § 3 Abs. 2 MaBV verstößt.
Zwei Ehepartner haben je eine noch zu bauende Eigentumswohnung von dem Bauträger erworben. In den notariell beurkundeten Verträgen haben sich die Eheleute zur Zahlung des "Kaufpreises" in mehreren Raten verpflichtet. Die entsprechende Vereinbarung wich zu ihren Ungunsten von der MaBV ab. Die Kläger sollten die erste Rate früher zahlen, als nach der MaBV erlaubt. Die Eheleute weigerten sich, einen Restbetrag des "Kaufpreises" zu zahlen, weil die Wohnflächen zu klein ausgefallen sein sollen.
Das Kammergericht in Berlin hat dem Bauträger mit der Begründung überwiegend Recht gegeben, die Wohnflächen seien vertragsgerecht, der "Kaufpreis" sei fällig.
Auf die Revisionen der Eheleute hat der VII. Zivilsenat die Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.
Der Fall hat dem VII. Zivilsenat Gelegenheit gegeben, seine Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen die MaBV weiterzuentwickeln. Die Verordnung sieht u. a. vor, daß der Bauträger sich im Vertrag mit Erwerbern nur Abschlagszahlungen versprechen lassen darf, wenn die Vereinbarung dem § 3 Abs. 2 MaBV entspricht. Der VII. Zivilsenat hat nunmehr entschieden, daß die Abschlagszahlungsvereinbarung, die zu Lasten der Erwerber gegen § 3 Abs. 2 MaBV verstößt, nichtig ist. An die Stelle der nichtigen Vereinbarung kann als Ersatzregelung nicht der Ratenplan des § 3 Abs. 2 MaBV treten, weil die MaBV nur gewerberechtliche, nicht aber zivilrechtliche Fragen des Vertragsrechts regelt. An die Stelle der unwirksamen Abschlagszahlungsvereinbarung tritt das Werkvertragsrecht des BGB (§ 641 Abs. 1 BGB a.F.).
Danach stehen dem Bauträger keine Abschlagszahlungen zu. Seine Forderung wird insgesamt erst fällig, wenn der Erwerber die Wohnung abgenommen hat.
BGH, Urteile vom 22. Dezember 2000 - VII ZR 310/99 und VII ZR 311/99
III. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist rechtsfähig und parteifähig
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, daß die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft, neuerdings auch GbR abgekürzt) rechtsfähig und parteifähig ist, soweit sie als Teilnehmer am Rechtsverkehr eigene (vertragliche) Rechte und Pflichten begründet. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die Grundform der Personengesellschaft. Sie liegt vor, wenn mehrere Personen sich in Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammenschließen, ohne ein Handelsgewerbe zu betreiben und ohne eine andere, spezielle Rechtsform für die Kooperation zu vereinbaren. Im Wirtschaftsleben kommt diese Gesellschaftsform häufig im kleingewerblichen Bereich, bei Sozietäten von Ärzten, Rechtsanwälten und anderen Freiberuflern und bei Kooperationen mehrerer Unternehmen anläßlich eines gemeinsamen Projekts, wie beispielsweise der bauwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (ARGE), vor. Das Reichsgericht und später der Bundesgerichtshof standen zunächst auf dem Standpunkt, daß die Gesellschaft selbst nicht rechtsfähig sei, sondern daß aus den von der Gesellschaft geschlossenen Geschäften ausschließlich die Gesellschafter selbst berechtigt und verpflichtet würden. Im Laufe der Zeit ging der Bundesgerichtshof aber zunehmend dazu über, die Gesellschaft als Gruppe der in ihr zusammengeschlossenen Gesellschafter selbst als Träger der in ihrem Namen begründeten Rechte und Pflichten anzusehen. So hat er die Gesellschaft beispielsweise für fähig erachtet, Mitglied in anderen Gesellschaften zu werden oder Scheckverbindlichkeiten einzugehen. Gleichwohl hat es auch der Bundesgerichtshof bisher abgelehnt, die Gesellschaft selbst im Zivilprozeß als klagende oder beklagte Partei zuzulassen. Infolgedessen mußten im Zivilprozeß bisher immer sämtliche Gesellschafter selbst (als sog. Streitgenossen) verklagt werden, wenn anschließend in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden sollte. Dies hatte im Klage- und Vollstreckungsverfahren, wenn die genaue Zusammensetzung des Gesellschafterkreises nicht bekannt oder umstritten war, immer wieder zu erheblichen praktischen Problemen bei der Rechtsverfolgung geführt, so beispielsweise bei Publikumsgesellschaften in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die über eine Vielzahl von Mitgliedern verfügen und deren Mitgliederbestand sich kontinuierlich verändert.
Mit der jetzt verkündeten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof diese praktischen Probleme für die Rechtssuchenden beseitigt. Wenn die Gesellschaft selber und nicht ihre einzelnen Gesellschafter als Träger der in ihrem Namen begründeten Rechte und Pflichten anzusehen ist, so kann ihr insoweit eigene Rechtsfähigkeit nicht abgesprochen werden. Konsequenterweise muß sie diese Rechte auch selber (vertreten durch den oder die jeweils geschäftsführenden Gesellschafter) vor Gericht als Klägerin geltend machen (sog. aktive Parteifähigkeit) oder vor Gericht als Beklagte auf die Erfüllung ihrer Pflichten verklagt werden können (sog. passive Parteifähigkeit). Infolgedessen ist zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen künftig nicht mehr die Erwirkung eines Urteils gegen sämtliche, möglicherweise gar nicht bekannten Gesellschafter erforderlich. Es genügt ein Urteil (oder ein sonstiger Vollstreckungstitel) gegen die Gesellschaft selber.
Der Erwirkung eines Urteils gegen einen Gesellschafter persönlich bedarf es nur, wenn auch in dessen Privatvermögen vollstreckt werden soll. Dazu stellt das jetzt verkündete Urteil in Fortführung einer früheren Entscheidung klar, daß die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (vorbehaltlich einer anderweiten Absprache mit dem Gläubiger) für die während ihrer Zugehörigkeit zu der Gesellschaft begründeten vertraglichen Verbindlichkeiten der Gesellschaft in ihrem jeweiligen Bestand, z.B. auch bei Erhöhung durch Verzugszinsen, auch persönlich mit ihrem privaten Vermögen haften (sog. Prinzip der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung). Die Haftung der Mitglieder jedenfalls einer wirtschaftlich tätigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts gestaltet sich insoweit ähnlich derjenigen einer offenen Handelsgesellschaft. Konkret ging es in dem entschiedenen Fall darum, daß die Klägerin eine ARGE in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts neben ihren Gesellschaftern auf Zahlung einer in ihrem Namen begründeten Wechselverbindlichkeit in Anspruch genommen hat. Das Oberlandesgericht Nürnberg als Vorinstanz hat die gegen die Gesellschaft gerichtete Klage auf der Grundlage der bisherigen Auffassung als unzulässig abgewiesen, weil die ARGE als Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Zivilprozeß nicht parteifähig sei. Diese Entscheidung konnte nach Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft durch den Bundesgerichtshof keinen Bestand haben.
BGH, Urteil vom 29. Januar 2001, - II ZR 331/00 -